■ SPD verzweifelt an rot-grüner Herausforderung
: Klarer Kurs Richtung Chaos

Die Sozis an der Elbe haben sich jetzt mit einem ungewöhnlichen Verfahren auf die Suche gemacht: Sie beauftragten ihren konservativen Law-and-order- Bürgermeister Henning Voscherau mit rot-grünen Koalitionsverhandlungen, die dieser gar nicht will. Die klammheimliche Hoffnung: Nur so könne man entlaufene Rechtswähler und sozialökologische Reformklientel gleichermaßen befriedigen. Das verspricht nichts Gutes. Entweder wird hier ein politischer Neffe Helmut Schmidts widernatürlich verbogen, oder eine rot-grüne Koalition exekutiert neokonservative Wachstums- und Polizeipolitik im Stil der frühen 60er Jahre.

Die CDU macht es vor: Schäuble und Heitmann demonstrieren einen scharfen neuen Rechtsdrall, welcher die Kluft zu den Erneuerern Geißler und Süssmuth immer größer werden läßt. Auch in der SPD driften die Parteiflügelkontingente immer weiter auseinander: Internationale Militärpräsenz, Lauschangriff, Lohnsenkung im Osten, Altindustrie-Subvention und der Abbau ökologischer Standards werden hoffähig, der „ökologische Umbau der Industriegesellschaft“ degeneriert zum Lippenbekenntnis des SPD-Erneuerer-Flügels. Grund dieser Drift, welche die Existenz der Volksparteien gefährdet, ist ihre tiefe Ratlosigkeit angesichts der komplexen Probleme der Gegenwart: So sehnen sich rechte Sozis jetzt nach starken Männern und betonschweren Taten, die Toskana-Linke studiert verwirrt die Chaostheorie.

Aufbruchsstimmung, greifbare Visionen oder gar kluge und praktische Antworten auf drängende Probleme hat die SPD nicht zu bieten. Offenkundig fehlen ihr auch die Personen, die da Abhilfe schaffen könnten. Die sozialdemokratische Hochburg Hamburg zeigt das ganze Dilemma: Ein konservativer Taktiker wie Henning Voscherau soll als letztes Angebot mit dem Motto „Schritt nach vorn und Rolle rückwärts!“ die existentiellen Probleme von Stadt und Partei anpacken. Im Rückwärtsgang die Ausfahrt Zukunft finden!?

Will die SPD in Deutschland an die Macht und die Zukunft wirklich gestalten, muß sie sich aus der Doppelzange von Neokonservatismus und linker Ratlosigkeit befreien. Die Grünen könnten ihr dabei helfen. „Eigentlich“, so meint ihre Hamburger Spitzenkandidatin Krista Sager, „sind bei uns jetzt vor allem therapeutische Qualitäten verlangt.“ Die Grünen als Lotsen und Kursgeber auf dem lecken roten Tanker? SPD-Steuermann Henning Voscherau graust es schon jetzt. Und was wird Uraltshipper Helmut Schmidt ihm raten? Ganz einfach: Den Tanker setzen wir schon selbst auf Grund! Florian Marten