■ Nebensachen aus Washington: Gestörtes Verhältnis
Ob ich zu einer Beerdigung ginge, fragte meine Freundin Clarice, als ich mich anläßlich des Tags der deutschen Einheit, frisch geduscht und frisch gefönt, auf den Weg zur deutschen Botschaft machte. Zugegeben, ich trage zur Zeit gerne Schwarz, was allerdings nichts mit Deutschland zu tun hat. Andererseits sehe ich auch nicht ein, warum ich ausgerechnet an diesem Tag zu fröhlicheren Farben greifen sollte. Schließlich bestätigt mir jedes Telefongespräch mit Freunden daheim, daß es absolut nichts zu lachen gibt in Deutschland. In Clarice' gesamtdeutscher Geographie ist nun neben Rostock, Mölln und Solingen auch Dolgenbrodt verortet. Mit Fragen wie Who the hell is Steffen Heitmann? hat sie mich bislang gnädig verschont. Was soll man darauf auch antworten?
Meine düstere Stimmung konnte denn auch die Festivität in der Botschaft nicht aufhellen – trotz schwarzrotgold ausstaffierten Empfangszelts, flotter Musik der Bundeswehrkapelle, physischer Präsenz des deutschen Außenministers und deutschen Büffets mit Bratwürstchen, Kartoffelsalat, Wurstplatte, an dem sich ein paar Heeresoffiziere bedienten mit dem Seufzer: „Geht's uns wieder gut!“ Und dann gab's jede Menge Bier und Wein und Sekt und die Nationalhymnen, die deutsche und die amerikanische, weil mit dem Tag der deutschen Einheit auch der Tag der deutsch-amerikanischen Freundschaft gefeiert wurde. Ich kam ziemlich erschöpft, mißlaunig und nüchtern nach Hause, wo Clarice mir fürsorglich einen Drink reichte mit den Worten: „Vielleicht hast du einfach nur ein gestörtes Verhältnis zu deiner deutschen Identität.“
„Was denn sonst?“ sagte ich und nahm einen ordentlichen Schluck. „Besser gestört als gesund.“ Neulich in Phoenix, Arizona, als ich mich in einem CD- Laden mit Jazzscheiben eindecken wollte, geriet ich in die International Section. France war mit Patricia Kaas und (fälschlicherweise) Jacques Brel vertreten; Italy mit ein paar CDs von Gianna Nannini; Ireland mit den ebenso unvermeidlichen wie unverwüstlichen Dubliners; Germany mit „Blasmusik vom Oktoberfest“ und „Nie wieder“, einer CD-Kollektion von Propagandareden aus dem Third Reich. „Siehst du“, sag' ich zu Clarice. „Das ist nicht so einfach mit der deutschen Identität.“
Bei den amerikanischen Germanisten, die gerade in Washington tagen, ist das Verständnis von deutscher Kultur etwas umfassender als im Plattenladen von Phoenix. Da wird ein bißchen Kleist gelesen, ein bißchen Handke und Graß, da wird ein wenig über die Kunst Anselm Kiefers und die Überlebenskunst der FDP diskutiert. Doch ansonsten befaßt sich ein Workshop nach dem anderen mit Rassismus, Xenophobie, der immer schamloseren Gier nach dem Nationalen und den allzu offensichtlichen Identitätsproblemen der Deutschen.
Das alles läßt die Germanisten nicht gerade in Optimismus über die Zukunft ihres Forschungsobjekts erstrahlen. Da war es noch nicht mal tröstlich, sondern eher beschämend, als mir neulich auf dem Flughafen ein alter Jazzmusiker von seiner letzten Deutschlandtournee vor dreißig Jahren vorschwärmt: Die Germans, meint er, seien Schwarzen und Künstlern gegenüber viel höflicher und respektvoller als die Amerikaner. „Ich fürchte, das hat sich geändert“, sage ich noch, aber da ist er schon in der Menge verschwunden.
Zwei Tage später gerate ich mitten in der Hauptstadt an ein paar Navajos, die mit den Native Americans for Clinton and Gore nach Washington gekommen sind und bei dieser Gelegenheit gleich ein bißchen gegen Kolumbus demonstrieren wollen, dessen mangelhafte Navigationskunst heute in den USA mit dem Columbus Day gefeiert wird. Alle schwärmen vom Schwarzwald – sie waren vor Jahren als GIs in Deutschland stationiert. „Wir haben auf euch aufgepaßt“, sagt einer und grinst. Bei dieser Gelegenheit lerne ich, daß die Navajos ihr eigenes Wort für die Deutschen haben. Sinngemäß übersetzt heißt es: Stahlhüte. Andrea Böhm
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