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Das Ende der Partnerschaft

EG-Kommission will die Bedingungen für Entwicklungshilfe verschärfen / Kritik aus den Reihen des Europaparlaments bleibt wirkungslos  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Der für Entwicklungspolitik zuständige EG-Kommissar Manuel Marin hat nicht viele Anhänger. Für die paritätisch zusammengesetzte Versammlung von Vertretern aus 69 Entwicklungsländern und aus dem Europaparlament war Marin in dieser Woche einmal mehr der Hauptadressat für Vorwürfe alle Art. Am härtesten wurde er von den deutschen Grünen und den britischen Konservativen angegriffen. Marin plane den Rückfall in den Neokolonialismus, schimpfte die Europaabgeordnete Margaret Daly.

Die breite Opposition richtet sich gegen Marins Pläne, die europäische Entwicklungspolitik zu reformieren. Dabei sind sich alle einig, daß dies dringend notwendig ist. Auf dem EG-Gipfel in Edinburg im vergangenen Jahr haben sich die Regierungen der 12 Mitgliedsländer geeinigt, die nationale Entwicklungshilfe schrittweise abzubauen und das Geld in die gemeinsame europäische Entwicklungshilfe zu stecken. Doch die EG-Projekte gelten als überbürokratisiert und weniger effizient als die nationalen Programme.

Die Paritätische Versammlung hat deshalb in dieser Woche eine Reihe von schönen Vorschlägen ausgearbeitet, wie die europäische Entwicklungshilfe verbessert werden kann. Besondere Zustimmung fanden Überlegungen, die Entwicklungsländer zu beauftragen, Konzepte für eine bessere Nord- Süd-Zusammenarbeit zu entwerfen. Immerhin wissen sie selbst am besten, woran die bisherige Zusammenarbeit krankt. Und weil so etwas mit Reisen und Konferenzen verbunden ist, wurde gleich eine Resolution verabschiedet, in der die EG aufgefordert wird, das nötige Geld zur Verfügung zu stellen.

Viel wird das nicht helfen. Denn EG-Kommissar Marin plant andere Reformen. Und so, wie die Europäische Gemeinschaft aufgebaut ist, kann er die Beschlüsse der Parlamentarier schlicht ignorieren. Marin will die Entscheidungswege verkürzen und die Vergabe von Entwicklungshilfe an Auflagen wie Achtung der Demokratie und gute Regierungsarbeit knüpfen. Was sich zunächst vernünftig anhört, könnte das Ende partnerschaftlicher Zusammenarbeit sein. Denn die Definition, was Demokratie, vor allem aber was gute Regierungsarbeit ist, läßt einen breiten Ermessensspielraum. Marin will den Entwicklungsländern zudem die Auswahl der Projekte wieder abnehmen, die gefördert werden sollen. Damit wäre das Kernstück der europäischen Entwicklungspolitik, das Lomé-Abkommen, nur noch Altpapier.

Zur Erinnerung: Als die Europäische Gemeinschaft 1975 in der togolesischen Hauptstadt Lomé mit 46 Entwicklungsländern einen Vertrag über Handelserleichterungen abschloß, wurde dieses Abkommen als Modell für eine faire Nord-Süd-Partnerschaft gefeiert. Die reichen Länder der EG versprachen den AKP-Staaten (AKP steht für: Afrika, Karibik, Pazifik) nicht nur zollfreien Zugang zum europäischen Markt, sie boten auch Ausgleichszahlungen für ungerechte Handelsbeziehungen an. Zum ersten Mal mußten Entwicklungsländer nicht mehr als Bittsteller antreten.

Auch wenn das Lomé-Abkommen seinen Glanz längst verloren hat, weil sich die meisten Hoffnungen der AKP-Staaten auf bessere Entwicklungschancen nicht erfüllt haben, zählt es doch zu den wenigen positiven Beispielen der Entwicklungszusammenarbeit. Nicht nur die Vertreter der Entwicklungsländer und die Europaparlamentarier, auch viele unabhängige Entwicklungsorganisationen, die sogenannten NGOs, laufen deshalb Sturm gegen die EG-Pläne. Sie kritisieren, daß die Änderungen auf eine Entmündigung der Regierungen in den Entwicklungsländern und einen Machtzuwachs der EG-Kommission hinauslaufen. Zudem seien die Prinzipien Demokratie und Menschenrechte auch im Lomé-Abkommen schon verankert gewesen.

„Wenn es Marin wirklich um Demokratie ginge“, meint auch der Grünen-Abgeordnete Wilfried Telkämper, „dann müßte er die Entscheidung darüber, wo demokratisch regiert wird, einem demokratischen Gremium überlassen.“ Die Befürchtungen, daß der EG-Kommissar einfach nur Machtzuwachs sucht, hängen eng mit Marins Person und Arbeitsstil zusammen. Entgegen demokratischen Gebräuchen, die auch in Brüssel gepflegt werden, hat Marin sein Konzept zuerst der Presse vorgestellt. Dem entwicklungspolitischen Ausschuß des Europaparlaments legte er den Entwurf erst nach heftigen Protesten vor. Die Parlamentarier müßten froh sein, kommentierte er seine Großherzigkeit, daß er ihnen das Papier überhaupt zeige. „Marin fordert Demokratie“, wetterte die Britin Margaret Daly, „und führt sich auf wie ein Diktator.“

Doch der EG-Kommissar muß nicht die Abgeordneten überzeugen, sondern die zwölf Entwicklungshilfeminister der EG-Mitgliedsstaaten. Und da stehen die Chancen gut für Marin. Seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes gilt bei einigen Regierungen auch der Nord-Süd-Dialog als überholte Form der Außenpolitik. Weil die armen Länder nicht mehr durch teures Zureden davon abgehalten werden müssen, sich dem sozialistischen Block anzuschließen, ist in der Entwicklungshilfe der Aspekt der Markterweiterung und Rohstoffsicherung wieder stärker in den Vordergrund gerückt.

Vor allem die britische und die deutsche Regierung haben zudem signalisiert, daß sie sich von Marins Konzept auch finanzielle Einsparungen erhoffen. Mitbestimmung ist teuer, und außerdem läßt sich an Bedingungen geknüpfte Entwicklungshilfe leichter kürzen.

Der Generalsekretär der AKP- Gruppe, der Äthiopier Berhane Ghebray, kann die Aufregung um Marin nicht ganz verstehen. Nicht, daß er die Vorschläge gut fände. „Wenn Europa einseitig festlegt, was für uns gut ist“, sagt er, „dann werden wir überlegen müssen, ob wir nicht besser aus der Zusammenarbeit aussteigen.“ Doch das Problem sei nicht der einzelne EG- Kommissar. Ganz Europa schaue jetzt nach Osten, meint Ghebray, die Beziehungen mit der Dritten Welt hätten dadurch an Bedeutung verloren. „Mister Marin ist nur der Übersetzer dieser neuen Interessenlage.“

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