„Du bist Rühe, du bist Kinkel“

■ Was Daniel Cohn-Bendit auf dem grünen Sonderparteitag wirklich fertiggemacht hat

taz: In Ausnahmefällen plädieren Sie für eine Abweichung vom gewaltfreien Prinzip, denn in Bosnien-Herzegowina hieße die Beschränkung auf pazifistische, humanitäre Hilfe, einen Genozid hinzunehmen. Sie sind damit in der Minderheit und haben in Ihrer Parteitagsrede von der Gefahr gesprochen, daß Leute wie Sie herausgedrängt werden könnten.

Daniel Cohn-Bendit: Hier herrscht sicher keine Struktur, in der gilt: Die Partei hat immer recht. Aber was mich bei dieser Versammlung wirklich fertigmacht, ist, daß es keine politische Auseinandersetzung mit der anderen Position gibt. Die müßte einem doch nahe sein, weil sie aus der gleichen Partei kommt. Die gemeinsamen Koordinaten funktionieren nicht mehr. Da fühlt man sich herausgedrängt.

Ich bin seit zehn, zwölf Jahren nicht mehr auf einer Bundesversammlung gewesen. In Hessen, in Frankfurt geht es mir nicht so. Da verliere ich auch Abstimmungen, aber ich habe immer den Eindruck, es gibt eine gemeinsame Geschichte, die es uns ermöglicht, Auseinandersetzungen argumentativ auszuhalten. Hier habe ich dieses Gefühl nicht mehr gehabt. Hier sagen mir die pazifistischen Grünen: Du bist Rühe, du bist Kinkel, du bist der General Soundso. Und in keinem Moment ist es möglich, in eine historische Debatte wirklich einzusteigen. Es ist ja immer kompliziert mit dem Rückgriff auf die Geschichte. Aber es haben doch Pazifisten auch nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs argumentiert, es gäbe keine Veranlassung, Partei zu ergreifen. Die deutschen Militärs sind so schlecht wie die französischen, später die amerikanischen, deshalb halten wir uns aus diesem Militärgeschachere heraus. Und das ist doch für Pazifisten ein Problem, zu dem sie sich erklären müßten.

Ist diese Wahrnehmung nicht sehr pauschalisierend? Es gibt auch differenzierendere Positionen.

Sicher. Der Antrag aus Hessen zum Beispiel ist der Versuch einer Auseinandersetzung. Aber wir haben hier im ersten Teil neun Beiträge hintereinander gehabt, die ohne einen einzigen Selbstzweifel dahergedonnert wurden. Diese Partei sagt zu Beginn des Wahlkampfs: Es steht für uns die Utopie der Abschaffung der Bundeswehr. Es wird von vorn verkündet: Bei der Bundeswehr sagen wir nein, bei der UNO machen wir nicht mit. Hier artikuliert sich mehrheitlich der pazifistische deutsche Sonderweg.

Aber die Einwände gegen Ihre Position sind nicht alle von dieser schlichten Art.

Die Einwände sind wirklich nicht alle von der Hand zu weisen. Wenn gesagt wird, egal was wir machen, es wird die Sitution in Bosnien- Herzegowina nicht retten, dann ist das kaum zu bestreiten. Nur gilt dieser Einwand gegen den Einsatz militärischer Mittel umgekehrt auch. Auch die besten humanitären, pazifistischen Mittel können den Schutz der bosnischen Muslime in diesem Winter nicht garantieren. Dann müssen wir sagen: Wir können die bosnischen Muslime nur noch evakuieren, weil es nicht anders geht, weil wir die Menschen retten müssen. Ich verlange einfach die intellektuelle Redlichkeit, die Konsequenzen aus einer Analyse klar zu sehen. Ja, man erschrickt, wenn man sich die Konsequenz jeder Maßnahme in Bosnien-Herzegowina wirklich vor Augen führt. Warum nicht eine Intervention, die nur das Ziel hat, das Überleben der Muslime in diesem Winter zu sichern und ihnen zu garantieren: Das verbliebene Territorium schützen wir, dafür stehen wir zur Not auch militärisch ein.

In der grünen Partei werden inzwischen viele Themen nüchtern und pragmatisch diskutiert, die in früheren Jahren den Rang von Glaubensfragen hatten. Aber auf diesem Parteitag, bei den Themen Krieg, Militär, Pazifismus, ging es offenbar noch einmal um Bekenntnisse. Warum?

Ach, das verstehe ich. Dieser Prozeß ist so schwer. Von der Situation des Protests und einer „Wir wollen alles anders“-Stimmung in das Räderwerk der politischen Normalisierung – da ensteht einfach das Bedürfnis, das Anderssein noch einmal richtig zu zeigen. Das theoretische Problem, das sich für mich in dieser Auseinandersetzung zeigt und das ich nicht lösen kann, würde ich so formulieren: Die Demokratie lebt vom Eigensinn der Menschen. Die Verteidigung des Eigensinns ist der Motor demokratischer Gesellschaften. Deshalb wird meiner Meinung nach nie eine Demokratie eine wie auch immer geartete humanitäre Intervention beschließen, denn man riskiert ja, etwas davon aufs Spiel zu setzen.

Eine Demokratie wird immer nur dann intervenieren, wenn sie angegriffen wird oder wenn sie selbst ökonomische Interessen hat. Die Grünen sind in diesem Zusammenhang nur Teil des Mainstreams in allen westlichen Gesellschaften. Bosnien zu helfen, das hieße, etwas zu formulieren, was man nicht nur für sich tut. In der Asyldebatte haben die Grünen das getan. Hier sagen sie: Wir verteidigen das Recht der Menschen in Deutschland, sich zu verweigern, ihr Leben für andere zu riskieren. Die Grünen haben heute vor allem über den Stand ihrer eigenen Befindlichkeit im Jahr 1993 diskutiert. Wenn sie wirklich die Frage zulassen, ob es Werte gibt, für die man das eigene Leben riskieren muß, dann ist eine Sicht auf die Welt, die nur auf Frieden besteht, zusammengebrochen.

Interview: Tissy Bruns