Trommelfelle gegerbt

■ Wadaiko Ichiro auf Kampnagel: Publikum in Trance

Ein gutes Dutzend Trommeln thront in schlichter Achsensymmetrie auf der Bühne in feierlichem Halblicht. Minuten später wird ihnen mit wohlgedrechselten Knüppeln ganz gehörig das doppelte Trommelfell gegerbt. In traditioneller, japanischer und praktischer Kleidung traktieren Wadaiko (jap.: Trommeln) Ichiro (jap.: Ergebenheit, Hingabe, Liebe), also Wadaiko Ichiro ihr Instrumentarium, das von handlichen Trommeln über allerlei tönende Gefäße bis hin zur „Odaiko“, einer Riesentrommel von eineinhalb Meter Durchmesser, reicht.

Mit unbarmherzigen Sportsgeist droschen die zwei Frauen und acht Männer wie in einer dynamischen Meditation die Kompositionen ihres Companie-Chefs Ichiro Inoue in der Halle 6 auf Kampnagel.

Ichiro Inoue gründete die Truppe 1991, um mit Hilfe traditioneller japanischer Percussionstraditionen seine Vorstellungen von einem neuen Percussions-Stil zu entwickeln. Die spirituellen Aspekte traditioneller Trommelkunst sucht er darin mit modernen Kompositionen für traditionelle Instrumente zu verbinden. Tatkräftige Unterstützung für seine Idee fand er bei einem — inzwischen dem einzigen — japanischen Handwerksbetrieb, der seit über 400 Jahren Trommeln aller Art anfertigt.

Die lange Erfahrung in der Herstellung der Instrumente scheint notwenig, da sie einiges an Schlägen aushalten müssen, wenngleich die Spielerinnen und Spieler zunächst mit einer gewissen Feierlichkeit zur Tat schreiten, um sich mit allen Werkzeugen in einen fulminanten Klangkörper zu verwandeln. Das äußerst sportive Zuschlagen, das sich im Zusammenspiel zu rasenden Wirbeln aufschwingt, ist eingebettet in die rauschhaften Kompositionen Ichiro Inoues, die das Publikum am Sonntag betörten.

Mal wie ein sanfter Frühlingsregen, mal wie ein peitschender Wintersturm bäumen sich die Klänge auf, deren Fähigkeit, Geister zu becircen oder abzuschrecken, an diesem Abend kaum jemand bezweifelt haben wird. Und wurde die große „Odaiko“ geschlagen, dann schien es, als nähere sich auf der Barmbeker Straße ein Brontosaurus.

Aber auch an plaudernde Klapperstörche, Zwischen all den gewaltigen Kraftanstrengungen, den durchschlagenden synchronen Rhythmen, die sich immer wieder in variationsreiche Sequenzen auflösen, setzen kleine hölzerne Querflöten melodiöse Kontrapunkte, die man noch am ehesten mit japanischem Liedgut über zarte Kirschblüten in Verbindung bringen mag.

Wadaiko Ichiro bewiesen sich als eine natürliche akustische Anwendung aus einer Art rhythmischer Kampfgymnastik und einer Art Heavy Gamelan für Entspannungsbedürftige, die auch bei Gastspielen in Mitteleuropa unmittelbar Wirkung auf die Zuhörer zeigt — die konnten am Sonntag von Wadaiko Ichiro gar nicht genug aufs Trommelfell kriegen.

Julia Kossmann