Jesusmäßig high Von Mathias Bröckers

Die österreichische Kirche, so melden die Agenturen, bangt um ihr Weihrauchritual: „Laut einer Studie des Linzer Chemikers Georg E. Friedrich soll bei der Verbrennung des liturgischen Räucherstoffs der Haschisch-Inhaltsstoff THC entstehen. Die Droge soll Halluzinationen verursachen, die Gesundheitsbehörde prüft noch.“

Nun wollen wir der österreichischen Gesundheitsbehörde die fröhliche Prüfung keineswegs vorenthalten, empfehlen aber dennoch einen Blick in die taz vom 25. März 1983. Ein Beitrag der Naturwissenschaftlichen Rundschau, in dem zwei Chemiker der Akademie der Wissenschaften der DDR von der Entdeckung des Hanfwirkstoffs THC in der Weihrauchpflanze Olibanum berichteten, animierte uns seinerzeit zu einer Recherche bei Dealern und Usern der katholischen Duftdroge. Während die beiden DDR-Wissenschafler einen „kultischen Handlungen entgegenkommenden milden Rauschmitteleffekt“ konstatierten, gab man sich in Kirchenkreisen vollkommen ahnungslos – und entsetzt:

Der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn, Herr Marx, auf die Frage, ob er von Rauschzuständen während der Messe gehört habe: „Von Rauschzuständen sicher nicht, das sind Duftstoffe. Außerdem wird bei uns nicht so oft geräuchert, nur bei feierlichen Anlässen.“ Bei den Orthodoxen, fügte er hinzu, „wird bei jeder Messe geräuchert. Aber was soll das denn für ein Wirkstoff sein?“ – „Derselbe wie im Haschisch.“ Marx: „Oh je!“ Bei der Zentrale der orthodoxen Kirche in München war um 9.30 Uhr morgens noch niemand zu erreichen – vielleicht hatten die Herren am Vorabend ein wenig zu kräftig geräuchert. Der Pressesprecher im Bundesgesundheitsministerium weiß von nichts: „Ist Olibanum auf dem Betäubungsmittelindex?“ – „Weiß ich nicht, die beiden zuständigen Herren sind auf einer Sitzung.“ Im Büro des Berliner Drogenbeauftragten wiegelt man ab: „Solche Meldungen kommen laufend, auch Muskatnuß, geräucherte Bananenschalen usw. Sollen berauschen.“ Auf das Stichwort THC allerdings Überraschung: „Nie gehört, vielleicht rühren daher die häufigen Zusammenbrüche älterer Kirchgänger.“ Wenn schon die Benutzer angeblich nichts wissen, dann doch bestimmt die Dealer – ich telefoniere mit einer Berliner Firma für Kirchenbedarf, von einer Drogenwirkung ist dort nichts bekannt: „Es wird ja auch nicht so lange geräuchert, und ehe das Ganze wirkt, kriegt ja keiner mehr Luft.“ Als ich erwähne, daß es sich um denselben Wirkstoff wie beim Haschisch handelt, reagiert meine Gesprächspartnerin ängstlich: „Wenn Sie das schreiben, gehen ja weniger Leute in die Kirche.“ Ich versuche, sie vom Gegenteil zu überzeugen – mit verstärktem Weihraucheinsatz würde, bei der bekannten Freibiermentalität der Deutschen, der Zulauf sicher steigen, vor allem bei der Jugend.“

Der Artikel blieb folgenlos, statt auf verstärkten Weihraucheinsatz zu setzen, nahmen die Kirchen in den letzten zehn Jahren lieber stetig steigende Austritte in Kauf – um sich jetzt, im ahnungslosen Österreich, erneut über den alten Hasch- Hut zu wundern. Dabei scheint doch der wohlgefällige Duft in einem ansonsten durch und durch erstarrten Ritual mittlerweile das einzige, das einem noch eine Ahnung von dem verschaffen kann, was einst im spirituellen Zentrum der Religion stand: das wahrlich jesusmäßige High.