Zwölf IMs auf eine Lesbe

Seit Anfang der 80er Jahre bespitzelte die Stasi systematisch die Lesben- und Schwulenszene in der DDR / Die Bewegung sollte zersetzt werden / Stasi erstellte rosalila Listen  ■ Aus Halle Jean Jacques Soukup

„Hauptzweck der Party war Alkoholgenuß, den die Gäste mitbrachten. Zu fortgeschrittener Zeit nahmen einige Pärchen sexuelle Handlungen vor. Außerdem wurde ein Cabaret-artiges Programm mit Pantomime, Tanz usw. von Michael R., Spitzname Polen- Micha und X., Spitzname Tante Ulla aus Amerika aufgeführt. Polen-Micha ,grüßte‘ die Anwesenden von KGB, (...) und MfS [Ministerium für Staatssicherheit, d. Red]. Bei der Nennung des MfS winkte er in den Raum. Bei seinen Tanzvorführungen in Transvestitenart trug R., Michael nur einen knappen Slip und eine Pelz-Stola. Einmal zog er eine Jacke mit diversen Abzeichen an, überwiegend sowjetischer Art, die er schon des öfteren trug.“

Dieser Bericht des Inoffiziellen Mitarbeiters (IM) Simnowski gehört zu den eher komischen Recherche-Fundstücken von Günter Grau, Mitinitiator einer Tagung über den Umgang der Stasi mit Lesben und Schwulen, die am Wochenende in Halle stattfand. Mit knapp hundert TeilnehmerInnen war sie nicht nur ein Beginn der Stasi-Aufarbeitung unter Lesben und Schwulen, sondern zugleich ein erstes größeres Treffen der damals in der Bewegung Aktiven.

Günter Grau zufolge wurden Einzelpersonen und Gruppen, Kneipen, Klappen und die Szene insgesamt seit dem Beginn der 80er Jahre systematisch „operativ observiert“. Zwar war die Stasi schon aktiv, seit sich bei den Weltjugendfestspielen 1973 erstmals Schwule und Lesben öffentlich zeigten und Forderungen stellten, aber flächendeckend arbeitete die Stasi erst, als sich 82/83 kirchliche „Arbeitskreise Homosexualität“ in Leipzig, Magdeburg und Berlin gründeten. Aufgeschreckt von einem offenen Brief an Erich Honecker, der detaillierte Informationen zur Situation von Schwulen und Lesben in der DDR enthielt, reagierte das MfS nach dessen Erscheinen in der taz massiv: „Ideologische Stützpunkte des Feindes der DDR unternehmen derzeit vielfältige konzeptionelle und praktische Versuche, pluralistische Gesellschaftsauffassungen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR zu übertragen, indem sie nach westlichem Vorbild und zum Teil im bewußten Gegensatz zu bestehenden Organisationsformen der sozialistischen Gesellschaft sogenannte alternative Bewegungen entwickeln. Diese Interessensgruppen werden von politisch negativen und feindlichen Kräften als Basisgruppen einer politischen Untergrundtätigkeit betrachtet und zunehmend als eine innere Opposition profiliert.“ So ein Grundsatzpapier der MfS- Abteilung XX – zuständig für Kunst, Kultur und Untergrund, in deren Arbeitsgebiet fortan auch Schwule und Lesben fielen.

Die Abteilung baute mit Hilfe von Volkspolizei, Kripo, Psychologen, Medizinern, Ehe- und Sexualberatern sowie Biologielehrern, ein breites Informationsnetz auf. Ziel war, diejenigen, die Lesben- und Schwulengruppen gründen wollten, „zurückzudrängen“. Dafür sollten zunächst umfangreiche rosalila Listen erstellt werden. Anhand von Daten des Klinikums Buch über Syphiliserkrankte erstellte der Jurist Gerhard Fehr im Zuge seiner Dissertation eine rosa Liste für den Ostberliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg.

Günter Grau dazu: „Die Homophobie ging in der DDR eine fatale Symbiose mit einem nahezu paranoiden Sicherheitsbedürfnis einer nicht kontrollierten Staatsmacht ein.“ Er resümiert: „Weil sich Schwule und Lesben in kirchlichen Räumen trafen, weil sie mit politischen Forderungen an die Öffentlichkeit traten, weil Westkontakte bestanden und weil sie einen hohen Anteil an Ausreisewilligen stellten, wurden sie als Sicherheitsrisiko eingestuft.“

Dies bestätigt der stellvertretende Direktor der Gauck-Behörde Hansjörg Geiger: „Schwule und Lesben wurden als ,Sicherheitsrisiko‘ definiert, wenn sie Gruppen bildeten. Und auch dann, wenn sie bei Armee, Polizei oder beim MfS selbst beschäftigt waren.“ Im letzteren Fall wurden sie auf andere Posten versetzt – manchmal sogar auf bessere als zuvor. Bekannt ist zum Beispiel der Fall zweier Lesben, die in Führungspositionen der Volkspolizei arbeiteten und versetzt wurden.

„Wir dachten und lebten anders, als es den Regeln entsprach und machten das sogar noch öffentlich“, sagt Marinka Körzendörfer vom Unabhängigen Frauenverband, früher in der Ostberliner Lesbengruppe aktiv: „Das war für sie das Gefährliche.“ Sie hat Angst vor der Akteneinsicht, denn sie könnte „eine geliebt haben, die mich bespitzelt hat“.

Zur „operativen Personenkontrolle“ gehörten Telefonüberwachung, Wanzen und Postkontrolle. Dem folgten, wenn bei der Person „politisch-ideologische Diversion“ oder „Untergrundtätigkeit“ festgestellt wurde, „Zersetzungsmaßnahmen“.

Noch 1986, als sich eine Reihe staatlicher Stellen liberaler zeigten als zuvor, wies der stellvertretende Minister für Staatssicherheit Rudi Mittig seine Dienststellen an, „die Bildung einer Homosexuellen-Organisation zu verhindern.“ Ein Teil der Schwulen, die als IM für die Stasi arbeiteten, wurde dazu erpreßt. So auch ein verheirateter Geistlicher, der eine enge Beziehung zu einem Stricher unterhielt und in der Folge seit 1984 „sehr erfolgreich“ (Geiger) als IM berichtete. Das MfS wandte aber auch andere Methoden an: Grau zitierte einen schwulen IM, der vom MfS in seinem Coming-out unterstützt und damit gebunden wurde.

Anders war es bei den Lesben: Marinka Körzendörfer berichtete, daß „bei mindestens zwei Frauengruppen sicher ist, daß dort keine IMs waren.“ Dies lag wohl auch daran, daß das Mfs offensichtlich nicht über genügend lesbische IMs verfügte. Schwule IMs gab es überall. Allein in der Ostberliner Schwulenkneipe Schoppenstube waren drei hauptamtliche Mitarbeiter des MfS beschäftigt. Bespitzelt wurden nicht nur kirchliche, sondern auch außerkirchliche Gruppen, wie Uschi Sillge, die Initiatorin des Ostberliner Sonntagsclubs berichtet: „Auf mich waren zwölf IMs angesetzt.“

Ganze Heerscharen von Stasi und Volkspolizei setzten sich in Bewegung, als ein Student der Kriminalistik im Frühjahr 1986 in den Toiletten der Humboldt-Mensa Nord folgende Losung entdeckt: „Herhören! Für homosexuelle Gerechtigkeit! Am 21.4.86 wird im Palast der Republik eine Bombe gelegt! Honecker wird sterben. Es wird die größte Aktion seit dem Putsch 1953. Macht alle mit!“ Beim daraufhin eingeleiteten „Operativen Vorgang Homo“ werden 2.500 Schriftproben von Schwulen mit der Schrift des Täters verglichen – das Klo wird wochenlang observiert, Karteien und Speicher überprüft – bis ein 19jähriger IM als Urheber entdeckt wird.