Nur unter großen Schmerzen reparierbar

■ Maastricht-Gegner Christian Ströbele vertritt die Grünen vor dem Verfassungsgericht

taz: Wie lautet Ihr Tip für das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts?

Christian Ströbele: Ich bin ganz guten Mutes, daß das BVG unserer Verfassungsbeschwerde im Grunde recht gibt. Ich fürchte allerdings, daß das Gericht dem ungeheuren Druck, der in Deutschland europäisch, aber auch weltpolitisch auf ihm lastet, nicht standhält und irgendeine Kompromißentscheidung fällt.

Wäre das eine Niederlage für Sie?

Das wäre eine Teilniederlage.

Skizzieren Sie doch einmal das Katastrophenszenario nach dem Motto: Das droht uns, wenn die Maastrichter Verträge realisiert würden.

Wir würden eine europäische Union bekommen, in der die Essentials jeder demokratischen Verfaßtheit aufgegeben bleiben: Alle Macht in der Hand eines Organes, keine Gewaltenteilung und eine parlamentarische Vertretung, hier das Europaparlament, die nicht viel mehr ist als eine Karikatur eines Parlaments. Wesentliche Rechte eines Parlaments hat das europäische Parlament nicht; sie werden ihm vorenthalten, insbesondere das volle Budgetrecht.

Es gibt einige, die Ihnen in vielen Punkten zustimmen, die dann aber doch eine politische Union favorisieren angesichts der Tendenzen von Renationalisierung.

Wir wollen mit unserer Verfassungsbeschwerde nicht ein vereintes Europa verhindern, wir wollen den Zug nicht stoppen, sondern auf ein demokratisches Gleis lenken. Wir fürchten, wenn Europa durch die Maastrichter Verträge in die undemokratische Richtung auf den Weg gebracht wird, dann ist dies entweder gar nicht oder nur unter ganz großen Schmerzen wieder zu reparieren.

Wie sieht denn Ihr Idealbild von Europa aus ohne Maastricht?

Die Machtverteilung in Europa müßte anders und durchsichtiger sein ...

Wie anders?

Das europäische Parlament müßte viel mehr Rechte bekommen. Es müßte eine Regionalkammer eingerichtet werden, in der die Regionen Europas vertreten sind und Mitentscheidungsrecht haben. Und vor allem müßte der Europäische Rat, also die Vertretung der Regierungen der Mitgliedsstaaten, kontrolliert werden. Deren Entscheidungen müßten vorher diskutierbar sein.

Können Sie diejenigen verstehen, die eine politische Union à la Maastricht trotz ihrer Mängel wollen, die diese Mängel aber in Kauf nehmen, weil sie hoffen, dadurch einem geeinten Europa ein Stück näher zu kommen?

Ich nehme das Argument sehr ernst, daß ein vereintes Europa kommen muß, um den deutschen Nationalismus an die Kette zu legen. Aber auf der anderen Seite kann ich mir nicht von den Nazis und von den Rechtsextremen vorschreiben lassen, wann ich gegen undemokratische Entwicklungen angehe und wann nicht. Drastisch formuliert: Ich höre ja auch nicht auf, gegen das Waldsterben zu kämpfen, nur weil die Reps für den deutschen Wald sind.

Interview: Thorsten Schmitz