"Wir sind Kulturträger"

■ Die Rollheimer in Karow wollen die vom Engelbecken Vertriebenen aufnehmen, aber nicht als Abschiebeplatz dienen / Keine Treberhilfe, sondern Selbstverwaltung

Die gewaltsame Räumung der Wagenburg am Engelbecken am vergangenen Donnerstag hat die Szene gründlich durcheinandergebracht und den Senat viel Geld gekostet. Ein besonders teurer Spaß war die Idee, die Bauwagen samt Inventar an Lastwagen anzuhängen und sie auf das ehemalige Stadtgut am Rande von Karow zu verfrachten. Dort stehen jetzt etwa 20 Wagen, dicht an dicht, und direkt neben dem Eingangstor, die meisten mit platten Reifen und beschädigten Achsen. Den technischen Teil der Zwangsräumung übernahm die Müllbeseitigungsfirma ALBA, und mit den Folgen wird sie sich noch beschäftigen müssen. Denn ALBA habe ihr Eigentum wie Müll behandelt, sagen die Vertriebenen.

Am Montag nachmittag erschienen auf dem Stadtgutgelände 25 ehemalige Wagenbesitzer vom Engelbecken, identifizierten ihren Besitz, schrieben Schadensprotokolle und kündigten Strafanzeigen an. Zehn Bauwagen seien kaputtgegangen, stellten sie fest und zogen anschließend zum Roten Rathaus, um dort gegen die Räumung zu protestieren. Gestern trafen sie sich dort zur Sitzblockade, die Polizei nahm drei Personen fest.

Tatkräftige Hilfe bei der Anzeigenerstattung erhalten die Vertriebenen von den derzeitigen Bewohnern des Rollheimer Dorfs. Die 50 Menschen, die dort teils schon seit Monaten leben, fühlen sich auf dem Gelände der ehemaligen Schweinezucht-LPG überaus wohl und sind, dank eifriger Akzeptanzwerbung bei den Karower Bürgern, wohlgelitten. Diese Dörfler organisierten am vergangenen Sonnabend ein Plenum, nachdem sie sich vom ersten Schreck über den von ALBA nicht angekündigten Zwangstransport erholt hatten. Dabei bekräftigten sie erstens, daß „jeder aus der Walde (Waldemarstraße d.A.), der in Pankow neu anfangen will“, aufgenommen und „nach besten Kräften“ bei der Neuansiedlung unterstützt wird, und zweitens, daß auch denen geholfen wird, die durch die Zwangsräumung Schaden erlitten haben. Sie schrieben dazu ein Flugblatt und verteilten es überall dort, wo nach der Polizeiaktion versprengte und wohnungslose Ex-Engelbecken-Bewohner vermutet wurden.

Es war eine Aktion, die notwendig wurde, weil Werner Hampf, selbsternannter Streetworker und Ansprechpartner des Senats für das Rollheimer Dorf in der Wuhlheide, während der Räumungsaktion bei sämtlichen Berliner Medien angerufen und behauptet hatte, die Karower sperrten sich gegen die Leute vom Engelbecken. Das stand dann auch so in allen Zeitungen und provozierte viel Ärger. „Diese Behauptungen sind totaler Quatsch“, sagen Plenumssprecher Alex und Buddy, die beide um die 45 Jahre alt und Rollheimer aus Überzeugung sind: „Jeder, der freiwillig kommt und mithilft, den Platz zu einer dauerhaften Wohnstätte zu gestalten, ist willkommen.“ „We are all one“, ergänzt Buddy, der in Karow mit einem Fahrrad von Bauwagen zu Bauwagen flitzt, Telefon spielt und dazwischen einer Karower Bürgerin hilft, die Enkel wiederzufinden, die irgendwo auf der Suche nach jungen Hunden auf dem Platz verschüttgegangen sind.

Einige aus dem Engelbecken sind auch schon da, sie kamen allerdings kurz vor der Räumung. „Ich find's hier geil“, sagt Skinny, der drei Jahre im sogenannten „Chaotendorf“ in Mitte lebte. Er hat überhaupt kein Verständnis für die Hardliner um Bruder Kamillus und Schwester Maria, die das Rollheimer Dorf in Karow als „Schweine-KZ“ bezeichnen und von „Zwangsdeportation“ reden. „Voll daneben“, sagt er. Einig ist er sich aber mit allen anderen auf dem Platz, daß niemand gezwungen werden darf, in Karow Quartier zu nehmen. Zwar sei es dank „viel Eigenarbeit und lebendigem Gemeinwesen“ möglich, auch „sozial komplizierte Menschen“ im Dorf zu integrieren, aber nur wenn die „Mischung“ stimme. Das Senatsprojekt, die Betreuung ihres Dorfes „Karo-Watt“ drei Sozialarbeitern von der Treberhilfe zu überlassen, findet er „völlig überflüssig“. „Wir sind keine Treber, keine Obdachlosen“, sagt er, „sondern Kulturträger für alternative Wohn- und Lebensformen und bestehen auf Selbstverwaltung und Eigenverantwortung.“

Und damit dies so bleibt, hat Trekker-Becker, der alternative Transportunternehmer aus der Wagenburg an der East-Side Gallery, seit einigen Tagen viel zu tun. Für 40 Mark schleppt er mit seinem Trecker die Bauwagen wieder dorthin zurück, wo die Ex-Engelbecken-Bewohner sie hinhaben wollen. So zeichnet sich ab, daß die ganze, vom Senat so hübsch geplante Umsetzungsaktion scheitern wird: Außer Spesen nichts gewesen. Anita Kugler