„Nicht mehr die Bank der Ärmsten“

■ Hamburgs Pfandleihern geht's gut / Schmuck und Uhren sind gefragt – Pelze nicht   Von Sannah Koch

Ein scheinbar vertrauter Vorgang – ohne zu zögern schiebt die junge Frau ein Goldkettchen unter der gläsernen Trennscheibe durch: „Der neue Mantel ist 300 Mark teurer als ich gedacht habe“, sagt sie lachend zu der Angestellten jenseits des abgestoßenen Tresens. „Der Verschluß ist kaputt“, meint diese nach eingehender Untersuchung, „mehr als 300 gibt es auch nicht her.“ Alltag in einem Hamburger Pfandleihhaus, eins von tausenden Kreditgeschäften, die die Bilanz des Deutschen Pfandkreditgewerbes verschönen.

Mehr als 45 Millionen Mark Umsatz verbuchten alleine die 14 Hamburger Leihhäuser im vergangenen Jahr, rund eine Million Menschen kurbelten die Umsätze des deutschen Pfandkreditwesens innerhalb von zwölf Monaten auf insgesamt 450 Millionen Mark hoch. Das freute gestern den Vorsitzenden des Zentralverbands, Joachim Struck. „Die Pfandleiher profitieren vom wachsenden Kreditbedarf der Verbraucher“, formulierte er bei der Vorstellung der Jahresbilanz. Er räumte aber ein, daß die wachsende Verschuldung sicherlich ein Grund für die steigenden Umsätze sei. Aber: “Es sind nicht die Ärmsten der Armen, die die Kredite der Leihhäuser nutzen.“

Eine Ansicht, die auch Inge Dührkoop teilt. Sie betreibt seit 35 Jahren ein Leihhaus am Hansaplatz in St. Georg. „Wir sind nicht mehr die Bank der kleinen Leute“, sagt sie, „im Frühjahr, wenn Steuer-nachzahlungen fällig sind, kommen auch mal Bessersituierte.“ Früher sei es vorgekommen, daß ihre Kunden sogar über die Woche ihre Anzüge beliehen und diese pünktlich zum Wochenende wieder ausgelöst hätten. Doch die wirklich armen Leute, so betonen der Verbandsvorsitzende Struck und Inge Dührkoop unisono, haben heutzutage gar keine Wertgegenstände mehr, die sie beleihen könnten.

Von der modernen, „bankähnlichen“ Ausstattung, die laut Struck in seinem Gewerbe Einzug gehalten hat, ist im Dührkoopschen Leihhaus allerdings nichts zu spüren. „Der Familienbetrieb existiert seit 1914“, erzählt die Pfandleiherin stolz. Und so sieht er auch aus: linolgrau und verstaubtes Furnier dominieren den „Schalterraum“. In den Auslagen unansehnliche Schmuckstücke – Ladenhüter, die die Besitzer nicht wiederhaben wollten und die auch bei der Versteigerung keine Abnehmer fanden. Dies geschieht allerdings selten: Nur rund 15 Prozent der Pfänder werden nicht wieder eingelöst. Eine hervorragende „Rückzahlungsmoral“, die für Struck auch ein Indiz dafür ist, daß die Kundschaft nicht vollständig verarmt ist.

„Konkurrenzlos günstig“, so wirbt der Verbandsvorsitzende, seien die Zinssätze und Deponiekosten. Für eine drei Jahre alte Kamera (Neupreis 3000 Mark) werde ein Kredit über etwa 800 Mark gewährt, der Kunde müsse bei dieser Darlehenssumme monatlich nur ein Prozent Zinsen plus drei Prozent Lagergebühr zahlen – die Lagerzeit beträgt drei Monate, nach dem vierten Monat wird die Versteigerung angesetzt. Handeln ist nicht, bestätigt auch Frau Dührkoop, „die Gebühren sind durch Gesetze einheitlich festgelegt.“ Die Höhe des Kredits richte sich nach dem Wiederverkaufswert. Uhren, Schmuck und hochwertige technische Geräte sind gefragt, Pelzmäntel, Textilien und Teppiche sind mega-out – „die nimmt kein Pfandhaus mehr an.“

Die hohen Zinsen der Banken und deren fehlende Bereitschaft, „dinglich ungesicherte Kredite zu gewähren“, so Struck, treibe den Pfandleihern neue Kunden zu. Der kurzfristige Kredit ist gefragt – immerhin sitzt jeder deutsche Haushalt heute auf durchschnittlich 4000 Mark Schulden. Gute Aussichten für Leihhäuser, freut sich der Verband. Von dem angeblichen Aufschwung spürt Frau Dührkoop jedoch nicht viel. In Hamburg würden Leihhäuser eher dicht gemacht, als daß sich Neueinsteiger ins Geschäft wagen, so ihre Beobachtung.

Doch ihr Geschäft scheint zu brummen: Bis zu 150 Kunden täglich schieben ihre Pretiosen über den Tresen. Doch nicht alle verlassen den Raum mit Bargeld in der Tasche. Wie der Typ im Jogginganzug. „Der Anhänger ist nicht aus Gold“, schüttelt sie den Kopf. Wütendes Schnauben: „Dann gehe ich eben zu einem anderen Laden.“ Die staubgraue Tür knallt hinter ihm zu.