Sanssouci
: Nachschlag

■ Neue Literatur aus St. Petersburg in der Literatur Werkstatt

Sie, liebe Leser, erwarten eine Rezension. Wundern Sie sich nicht, es ist keine. Ich werde mich hüten (wenigstens diesmal), mich auf dem Sechstel einer Zeitungsseite über Prosa und Dichtung von ganzen vier Autoren zu äußern, die an den ersten beiden „Tagen der Literatur aus St. Petersburg“ schon gelesen haben (Wiktor Kriwulin, Arkadij Bartow, Jelena Schwarz und Pjotr Koschelnikow). Gehen Sie nach Pankow, und hören Sie selbst. Ich werde nur von dem berichten, was in Pankow von Petersburg und Petersburgern berichtet worden ist.

„Traditionell selbstmörderisch“ sei Petersburg, und mit ihm seine Dichter – sagt Olga Kuschlina, die die Lese-Session mit einem Vortrag eröffnet: „Die Schriftsteller schreiben, als ob sie sich jenseits des Lebens befinden.“ Morbider Charme, der jenen Sog erzeugt, den alles ausübt, was unwiederbringlich scheint oder wenigstens zu entgleiten droht: Sieh mich an, gleich bin ich weg, jenseits.

Bilder aus Petersburg für Anfänger aus Berlin: Olga Kuschlina hilft, daß sich die Schublade im Kopf langsam öffnen kann. Hinein damit, dorthin, wo schon ein paar Wissenskrümel liegen – hinein damit, damit sie überquillt und möglichst nicht mehr zugeht: Petersburg, vor exakt 290 Jahren von Peter dem Großen als neue Hauptstadt gegründet; die Stadt, von der aus sich im 19. Jahrhundert die aus Preußen importierte Bürokratie über Rußland verbreitete. Petersburg, jugendstildominiert und mit Ostseehafen, zwischen Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn. Künstliche Landschaft, in der die klassische russische Tradition aufbewahrt und über das 20. Jahrhundert hinweggerettet worden sei. Petersburg, Gralshüterin: Moskauer Literatur dagegen sei viel mehr von der kommunistischen Macht beeinflußt gewesen, meint Kuschlina.

„Ich hoffe, daß genügend Moskauer hier sind, die vehement widersprechen“, kommentiert Birgit Veit, die die Lesereihe moderiert und die mit wenigen Einwürfen immer wieder auf Spuren in den Texten hinweist, die die Autoren untereinander verbinden – und auf Spuren, die über die mystische Verklärung Sankt Petersburgs hinausweisen. Die Kontroverse, die sie wünscht, bleibt aus: Im Publikum scheint kein Moskauer zu sitzen, und die Dichter haben den Teufel getan, die Aura zu zerstören, in die sie hineingestellt sind: Petersburger Literatur – souverän innerhalb der russischen Literatur und näher an Mitteleuropa, aus einer Stadt, „wie aus lauter Kulissen zusammengesetzt, wie eine Bühne für eine Tragödie“ (Olga Kuschlina). Friederike Freier

Heute lesen Wiktor Gubin und Jewgenij Mjakischew („Venedig des Nordens und Kommunalwohnung“); Morgen: Sergej Wolf und Alexander Gornon; jeweils 20 Uhr, LiteraturWerstatt Pankow, Majakowskiring 46/48