Betr.: "Tötungsverbot und Wert des Lebens", Theodor Ebert zu Peter Singers Thesen, taz vom 2.10.93

Betr.: „Kann Das mal zur Seite!“, Götz Aly zu Oliver Tolmeins: „Wann ist der Mensch ein Mensch?“, taz vom 2.10.93

Es ist falsch, daß sich Peter Scholl- Latour unter dem Pseudonym Götz Aly als Experte für gegen den Westen gerichtete Schwerter vom Islam ab- und der Behindertenbewegung zuwendet (oder war es Konzelmann alias Theo Ebert, der sich auf der Suche nach neuen ExotInnen... ach nein). Richtig ist, daß es mir in meinem gerade im Hanser Verlag erschienenen Buch nicht um so etwas sozialbiophysikalisch Rätselhaftes wie die vom anmerkenden Aly eingeforderte „Verflüssigung gesellschaftlicher und privater Aggregatzustände“ geht. Falsch ist, daß ich in diesem Buch „im übrigen auf den Staat schimpfe“. Die zehn Kapitel (teils Reportagen, teils Analysen) handeln u.a. von der auch von Vater Aly beklagten alltäglichen Gewalt auf der Straße, von Pa....medizin am Lebensende, von dem Zusammenhang von Hirntod, Schwangerschaftsabbruch und „Euthanasie“, von der gesellschaftlichen Akzeptanz von „Euthanasie“ in den Niederlanden, von Pränataldiagnostik und von den an industriellen Leistungskriterien orientierten Versuchen, eine wissenschaftliche Definition von „Lebensqualität“ festzuschreiben, allerdings auch von der ökonomischen Dimension der scheinbar „humanitären“ Debatte; kurz: ich versuche eine Analyse des gesellschaftlichen Umfelds der aktuellen „Euthanasie“-Diskussion.

Dazu gehört allerdings auch die Auseinandersetzung mit dem „Fortleben des Nationalsozialismus in der Demokratie“ (Adorno). Hätte Aly nicht nur das Kleingedruckte, die Fußnoten, die er vorzugsweise sinnentstellend zitiert, gelesen, sondern sich auch mit dem Haupttext beschäftigt, der nationalsozialistisches Denken bei Singer nachweist, er wüßte, daß ich gerade die gesellschaftliche Akzeptanz des NS-Mordprogramms, die aktive Mitwirkung auch von Eltern behinderter Kinder an den „Euthanasie“-Aktionen mit der sich brisant entwickelnden Situation heute in Verbindung bringe. Um auf Alys Anmerkungen zurückzukommen: Es ist richtig und nützlich, wenn er ein Buch von mir liest. In der Fixierung auf das, was er für meine autonome, politische Meinung hält, macht er aber (und das gilt gleichermaßen für Eberhard Seidel-Pielen, der sich an gleicher Stelle vor einigen Wochen eine ähnliche Fehlleistung in seiner Versprechung von „Der Pakt“ geleistet hat) jede einigermaßen sinnvolle Kontroverse über die tatsächlich von mir verfaßten Thesen und Argumente unmöglich. Oliver Tolmein, Hamburg