: Bloß nicht koscher
Geschichte eines Schlemiehl zwischen Schickse und Schicksal: „Leon the Pig Farmer“, ein jüdisches Ethno-Stückchen aus London ■ Von Warren Rosenblum
Madeleine mag jüdische Männer, weil sie so „tief“ sind. Die Tatsache, daß Pappi die Juden haßt, macht sie nur um so anziehender. Als sie Leon, den netten jüdischen Junghelden dieses Films, in die Klauen bekommt, steckt sie ihn flugs in einen knappsitzenden Lendenschurz, setzt ihm eine Dornenkrone auf und läßt ihn im Atelier als Jesus Christus posieren. Madeleine ist blond, sexy und bringt genau das, was Hollywood-Filmplakate unter „gewagt“ verstehen (sie trägt keine Unterwäsche). Alles an ihr ist – wenn's nach diesem Film geht – absolut unjüdisch, angefangen von ihrer sexuellen Freizügigkeit über ihre völlig unkritische Haltung sich selbst gegenüber bis hin zu ihrer leidenschaftlichen Abneigung gegen Gardinen. Leon kann nicht aufhören, sie anzustarren. Sie ist der Archetyp der raubtierhaften Schickse: Deine Mutter hat dich vor ihr gewarnt und dir en Detail ausgemalt, was sie dir antun wird. Seither wolltest du sie unbedingt treffen.
Die Atmosphäre in Leons bürgerlich-jüdischer Londoner Umgebung ist so eng und erdrückend wie in einem winzigen russischen Schtetl oder in den Mietskasernen Manhattans, die man aus den Geschichten von Isaac Bashevis Singer kennt. Gnadenlos und oft ziemlich ulkig wird Leon, der Immobilienmakler, geplagt, ähnlich wie Dustin Hoffman in „Die Reifeprüfung“. Sein Leben ist ein permanentes Verhör, aber es wird ihm selten gestattet, zu antworten; es hört ihm ohnehin niemand zu.
Der einzige Ausweg aus diesem Panoptikum ist Lisa, die schöne junge Jüdin, die über ihm wohnt, und mit der er gern ins Kino gehen würde. Aber Lisa will ihn nicht. Sie sucht ein Abenteuer, einen Boxer, einen Detektiv oder meinetwegen einen Gärtner; auf gar keinen Fall einen Immobilienmakler oder Lieferanten für koscheren Catering- Service (Leons zweiter Job). Währenddessen suchen Lisa und andere verlorene Seelen vom Stamme Israel Wahrheit und Glück im Buddhismus und anderen östlichen Religionen.
Madeline nimmt Leon, nicht wissend, daß er Jude ist, mit in ein sehr unkoscheres Restaurant. Leon hofft, er könne seine wahre Identität vor ihr verbergen, aber der Kellner, der zufällig ein Auge auf Madeline geworfen hat, quält unseren Helden mit großem Vergnügen, indem er ihm einen großen und höchst bedrohlichen (wenngleich toten) Hummer vorsetzt und dann noch mit einem Stück Schweinefleisch... Wichtiger noch für die Entwicklung der Geschichte ist die Eröffnung, daß Leons Vater nicht Sidney Geller, der Gardinenhändler ist, sondern Brian Chadwick, ein Schweinezüchter in Lower Dinthorpe, viele Kilometer und eine ganze Welt weit weg vom Norden Londons. Leon zieht los, den verlorenen Elternteil zu finden, und wird flugs auf der Farm angeheuert.
In seinen besten Momenten stellt „Leon the Pig Farmer“ die Fragen, die zahllose Romane und Filme über die Beziehung zwischen Assimilation, Schuld und Sehnsucht gestellt haben. Wie Agnieska Hollands „Hitlerjunge Salomon“ (ein Film, der in Deutschland bedauerlich unterschätzt und mißverstanden wurde) und Bernard Malamuds „The Fixer“ versucht „Leon“, das jüdische Selbstverständnis auseinanderzunehmen und neu zu betrachten. Der Zuschauer soll zu dem Punkt im Leben eines jeden jüdischen Mannes geführt werden, an dem seine Identität so bedeutungslos und dünn ist wie das Stückchen Haut, das man einst von seinem Penis geschnitten hat, um ihn dann wieder aufzubauen, zur Bejahung seiner Geschichte und seines Platzes in der Gemeinde.
Unglücklicherweise fehlt „Leon“ die Komplexität der beiden anderen Werke. Wie Spike Lee erzählt uns „Leon“, daß die Anziehung des Anderen nichts weiter ist, als die Vernarrtheit in flachen Exotizismus. Die Schwierigkeit, jüdisch zu bleiben in einer nicht-jüdischen Umgebung – die Schuldbesessenheit, die alle behaupten und die niemand erklärt –, ist in diesem Film nie mehr als eine Fußnote (einen der Protagonisten sieht man „Portnoys Beschwerden“ lesen). Man wartet halbwegs darauf, im Abspann festzustellen, daß der Film von der jüdischen Heiratsvermittlung gesponsert wurde.
V. Jean, Gary Sinyor:„Leon the Pig Farmer“. Mit Mark Frankel, Janet Suzman, u.a. GB 1992, 98 Min.
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