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Von Stahl auf Abwegen?

■ Gab der Ex-Generalbundesanwalt Hetzblatt Interview?

Nürnberg (taz) – „Heute stehen wir in einer Welt, in der die allergrößte Lüge der Menschheitsgeschichte zur alleingültigen Wahrheit gemacht worden ist: der Holocaust.“ So steht es auf der Titelseite des rassistischen und antisemitischen Hetzblattes Remer-Depesche, Ausgabe August 1993. Blättert man um, sticht einem „das aktuelle Interview“ ins Auge. Auf einer ganzen Seite steht Ex-Generalbundesanwalt Alexander von Stahl dem Remer-Depesche-Mitarbeiter Wolfgang Wegner Rede und Antwort.

Der Sprecher der Bundesanwaltschaft, Hans-Jürgen Förster, meinte gestern jedoch gegenüber der taz, es sei „absolut ausgeschlossen, daß sich Herr von Stahl gegenüber diesem Drecksblatt geäußert hat“.

Zusätzlich ist in eben jenem „Drecksblatt“ als Faksimile ein Brief von Stahl, verfaßt im Februar 1992, an seinen „lieben Cartellbruder Germar Rudolf“ abgedruckt. Erst letzte Woche beschlagnahmte das Landeskriminalamt bei Rudolf Material zur „Auschwitz-Lüge“.

Seit Juni 1991 gibt der Wehrmachtsmajor Otto Ernst Remer aus Bad Kissingen die Remer-Depesche heraus, in der er die Existenz von Gaskammern in den Konzentrationslagern rundum abstreitet. Redaktionsanschrift der in einer Auflage von ca. 10.000 Exemplaren erscheinenden Remer- Depesche ist die Privatadresse des britischen Revisionisten Anthony Hancock. Wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß wurde Remer im Oktober letzten Jahres vom Landgericht Schweinfurt zu 22 Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Ein Haftbefehl blieb dem Achtzigjährigen jedoch aufgrund seines Alters erspart. „Noch ist es klüger, aus der Deckung zu kämpfen – Partisanen für das Deutsche Vaterland“, mahnt Depesche- Chefredakteur Heiko Schwind seine Leser zur Vorsicht. „Aber ich zähle auf Euch, treue germanische Recken, einst kommt der Tag...“

Zählen konnten die Depesche- Herausgeber anscheinend auch auf den ehemaligen Generalbundesanwalt. Er betont zwar, daß es für ihn „keinen Zweifel am Genozid durch das Dritte Reich“ gebe, bricht das Interview aber keineswegs ab, als sich der Fragesteller dann eindeutig als Rechtsextremist outet. Auf die Frage, ob „deutsche Politiker, unterstützt und bedrängt von Juden aus aller Welt, menschenrechtswidrige Gesetze gegen das eigene Volk“ machen würden, antwortet von Stahl: „Da müssen Sie die Politiker fragen, die diese Gesetze schufen. Ich bin dafür nicht zuständig.“ Auf die Frage, warum „alliierte Verbrechen gegen Deutsche nicht geahndet“ würden, führt von Stahl an, daß dies ein „völkerrechtlich nicht ganz sauberer Kompromiß“ sei, „außenpolitisch aber wohl anders nicht durchzuführen gewesen“ sei. „Es war wohl ein Geben und Nehmen: Wir Deutschen bekommen eine Teilsouveränität, und die Verbrechen der Alliierten werden praktisch amnestiert.“

Den fakismilierten Brief an seinen „lieben Cartellbruder Germar Rudolf“ schrieb Stahl im Februar 1992, also noch zu Amtszeiten. „Ich bitte daher um Verständnis, daß ich mich nicht in der Lage sehe, Dir bei der Förderung Deines Anliegens behilflich zu sein“, verbleibt der Generalbundesanwalt „mit cartellbrüderlichen Grüßen“. Im Auftrag des Düsseldorfer Rechtsanwalts Hajo Herrmann, Verteidiger von Otto Ernst Remer vor Gericht, hatte der am Max- Planck-Institut in Stuttgart als Doktorand arbeitende Diplom- Chemiker Rudolf ein „Gutachten über die Bildung und Nachweisbarkeit von Cyanid-Verbindungen in den ,Gaskammern‘ von Auschwitz“ verfaßt. Signifikante Cyanid-Verbindungen hatte Rudolf dabei nur in dem Gemäuer der Entlausungsanlagen festgestellt. Seitdem kursiert das Gutachten in der revisionistischen Szene, eine Kurzfassung wird von der „Cromwell Press“ in London vertrieben.

Am 1. Oktober stellten Beamte des Stuttgarter LKA beim „lieben Cartellbruder“ des Generalbundesanwaltes neben einer größeren Anzahl von Originalgutachten auch „Schriftverkehr mit bekannten Revisionisten“ sicher. Das LKA rechnet den 28jährigen „revisionistischen Kreisen“ zu und verdächtigt ihn, den „systematischen Rassenmord an der jüdischen Bevölkerung im Dritten Reich“ zu leugnen. Bernd Siegler

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