Verdammt zur Isolation

■ Ist Rußland Nato-reif? Ist die Nato reif für Rußland?

Moskau (taz) – Die Diskussion um die Osterweiterung der Nato stößt in Rußland auf Mißbehagen. Früher war es der jahrhundertelang gewachsene Sicherheitskomplex, der die russischen Militärs gegenüber Allianzen unter Ausschluß Moskaus in Alarmbereitschaft versetzte. Heute kommt ein gewichtiger Faktor hinzu: Nach dem Ende der UdSSR hat Rußland einen Platz in der Weltgemeinschaft noch nicht gefunden. Voraussetzung hierfür wäre ein außenpolitisches Konzept, das auch die Rolle Moskaus gegenüber seinen alten Republiken definiert, sowie eine klare Militärdoktrin. Beides fehlt.

Und der Westen zeigt Ungeduld. Dem Sicherheitskomplex der Russen entspricht hier der Rückfall in Befürchtungen eines imperialistischen Rollbacks.

Jelzin und Außenminister Kosyrew haben an ihrer Westorientierung wenig Zweifel aufkommen lassen. Mit der Niederlage der chauvinistischen Rechten steht die Sache für die „Neuatlantiker“ in Moskau besser. Doch damit ist nicht der historische Gegensatz zwischen „Westlern“ und „Ostlern“, die auf dem russischen Eigenweg bestehen, überwunden. Die Nato-Erweiterung schürt in Rußland Isolationsgefühle und spielt jenen Kräften in die Hände, die Rußland weder demokratisch noch geöffnet sehen wollen.

Rußland steht vor einem Dilemma. Es kann und will den Ländern nicht vorschreiben, welche Allianzen sie einzugehen haben.

Andererseits hat Moskau Sicherheitsinteressen, die der Westen akzeptieren muß. Eigentlich ist die Nato gefragt, mit einem neuen sicherheitspolitischen Konzept und der Neudefinition der Bündnisaufgaben aufzuwarten. Das geht aus Kosyrews jüngsten Bemerkungen hervor. Es könne durchaus sein, daß, als „Ergebnis der Evolution“, Rußland dem Verteidigungsbündnis beitrete.

Die Gründe für eine Erweiterung läßt man in Rußland nicht gelten. Militärbündnisse, argwöhnt man zu Recht, folgten keinen abstrakten Interessen. Ginge es darum, die Demokratie zu sichern, spräche nichts dagegen, auch Rußland aufzunehmen.

Die Aufnahme davon abhängig zu machen, ob Rußland in absehbarer Zeit demokratisch wird, ist blauäugig. Bleibt Rußland außen vor, wirkt sich das schlagartig auf den Ausbau der Demokratie aus. Außerdem fragt man sich: Konnte die Nato nicht gut mit Diktaturen in Spanien, Portugal, Griechenland oder der Türkei leben? Jenes Argument der wirtschaftlichen Stabilisierung Ostmitteleuropas widerlegt sich selbst.

Vieles spricht dafür, Rußlands Wünsche ernst zu nehmen. Eine Integration, die letztlich auch Weißrußland und die Ukraine umfaßt, zwingt Moskau in die Isolation, selbst wenn es sich im Rahmen eines mitteleuropäischen Bündnisses bewegte. Macht die Integration an den Grenzen Ungarns, der Slowakei und Polens halt, überläßt es nicht nur die anderen beiden slawischen Völker sich selbst. Es schafft damit die Voraussetzungen, in Rußland immer einen potentiellen Aggressor zu sehen. Klaus-Helge Donath