Seehofer mit Handlungsvirus infiziert

■ Nach Aids-Skandal: Neuer Paukenschlag aus Bonn – Minister löst Bundesgesundheitsamt auf

Berlin (dpa/AFP/taz) – Als Folge der Aids-Affäre plant Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) die Auflösung des Bundesgesundheitsamtes (BGA) als einheitliche Behörde. Bis Weihnachten soll auch ein Vorschlag für den Hilfsfonds für durch Blutprodukte HIV-infizierte Bluter vorgelegt werden. Eine Arbeitsgruppe mit unabhängigem Beirat soll erneut die Geschichte der Aids-Infektionen durch Blut und Blutprodukte in den 80er Jahren durchleuchten.

Es gehe „um die Katastrophe der 80er Jahre“ mit etwa 2.000 infizierten Blutern, sagte Seehofer. Ob – zur Vermeidung einer erneuten Katastrophe – die deutschen Krankenhäuser sämtliche relevanten Behandlungsfälle seit 1982 noch einmal nachchecken können, sollen nun das Bonner Gesundheitsministerium und die Länder prüfen. Ein solcher Auftrag war dem BGA bereits im November letzten Jahres erteilt worden.

Für die geplante Auflösung des BGA sprachen FDP und SPD ihre Unterstützung aus. Ein Gesetz soll bis Weihnachten dem Parlament vorliegen. Die sechs Institute der Berliner Behörde (insgesamt 3.000 MitarbeiterInnen) sollen direkt dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt werden. Entlassungen sind nicht geplant. Die Betroffenen, die Seehofers Entscheidung aus dem Radio erfuhren, zeigten sich gleichwohl perplex: „Da kann ich nur mit Karl Kraus antworten: Dazu fällt mir nix mehr ein“, sagte Pressesprecher Kundtke. Gegenüber der taz begrüßte der Präsident der Berliner Ärztekammer, Ellis Huber, die geplante Auflösung als „richtigen Schritt hin zu einer Reorganisation der Verhältnisse“. Huber widersprach Befürchtungen, die Neuorganisierung könne zu einer Zersplitterung führen: „Eine wirkungsvolle Supervision des medizinischen Systems ist nicht von der Existenz des BGA als Zentralbehörde abhängig.“

Für den bisherigen Präsidenten Dieter Großklaus, den Seehofer letzte Woche in den einstweiligen Ruhestand abservierte, wird es keinen Nachfolger geben. Nachfolger des ebenso verabschiedeten Leiters der bisher für das BGA zuständigen Abteilung im Ministerium, Manfred Steinbach, wird Rudolf Grupp. Gegen Großklaus und Steinbach wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, bestätigte die Bonner Staatsanwaltschaft. Eine private Strafanzeige gegen Seehofer prüfe man.

Die Frage, welchen Nebentätigkeiten Mitarbeiter des BGA und des Bundesgesundheitsministeriums nachgingen, soll in den nächsten zwei Wochen geklärt werden, sagte der Minister.

In Österreich haben unterdessen 24 mit dem HIV-Virus infizierte Bluter das Pharmaunternehmen mit dem schönen Namen „Immuno“ wegen der Verbreitung eines Medikaments verklagt, mit dem sie sich infiziert haben sollen. In Österreich starben in den vergangenen Jahren 70 der 150 HIV-infizierten Bluter an Aids. Kommentar Seite 10