„Es ist alles kaputt“

■ Günter Krämer, Regisseur des „Ring des Nibelungen“, über Wagner, Einigung und RAF

Morgen abend ist es seit 1956 zum ersten Mal wieder so weit: Die Hamburg Oper komplettiert mit der „Götterdämmerung“, in Szene gesetzt von dem Kölner Generalintendanten und Regisseur Günter Krämer und vom Hamburger Generalmusikdirektor Gerd Albrecht, Richard Wagners Nibelungen-Tetralogie. Im taz-Gespräch erzählt Günter Krämer über seine Arbeit, den Einheitswahn, den deutschen Geist und die RAF.

taz: Sollten Regisseure eigentlich lieber schweigen?

Günter Krämer: Ja, weil die ja alle vertrottelt sind, wenn sie sich theoretisch äußern! Ich komme aus einer Generation, die Konzepte in die Theater brachte, also die berühmten 68er. Wir gingen in die Theater, brachen die Aufführungen ab und sagten: Was haben Sie denn für ein Konzept!? Aber irgendwann entstand für mich kein Geheimnis mehr. Das, was ich als Zuschauer immer haben wollte: irgendwas Voyeuristisches, Merkwürdiges, eine Welt, die meine Phantasie entzündet. Wo trotz Konzept eine Art Magie entsteht. Beim Ring wollte ich einfach mal in meinen Möglichkeiten eine Geschichte erzählen, die fast nicht auf einen Nenner zu bringen ist: Es war am Anfang eine Ganzheit da, eine Kugel bei mir, und am Ende sind es nur noch Teile und Splitter, die man versucht wie ein Puzzle notdürftig zusammenzusetzen. Aber es ist absurd, etwas, was schon längst vorbei ist, wieder zusammenzusetzen zu einer Einheit a la 19. Jahrhundert. Ich denke, daß man versuchen muß, Wagner auf seine Details zu untersuchen. Und so empfinde ich auch meine Inszenierung, als ein Puzzle. Auch wenn die Teile nicht zueinander passen. Den Mut habe ich noch nicht gehabt. Es ist ein Weg dahin.

Gegen die Intention Wagners?

Wenn man sieht, wie Wagner in der Götterdämmerung all die Motive vezerrt und verändert, begreift man, daß das Werk nie auf eine Ganzheit geht. Es zerbröselt alles. Die Werte wie Liebe, Vater, Vertrauen, Treue, die ja Prinzipien für menschliches Zusammenleben sind, gibt es nicht mehr. Es ist alles kaputt.

Ist kein Mangel des Werkes?

Nein. Wagner hat am Ende total anarchisch geschrieben. Er versucht mit der Brünhilde zwar noch eine Art Ehrenrettung, das Feuer soll sie reinigen, eine Art Wiedergeburt. Aber das hat er nicht mehr komponiert. Der lange Schlußmonolog ist ziemlich ohne Sinn.

Am Ende heißt es: „Männer und Frauen sehen in höchster Ergriffenheit dem wachsenden Feuerschein zu“ ...

Das kann man nun unterschiedlich deuten. Bei Chereau guckten sie ins Publikum, als Hoffnung. Oder als Warnung. Ich laß diese Leute am Ende weg. Die haben ja eh nichts zu singen. Wer nichts zu singen hat, hat nicht auf der Bühne zu stehen.

Wagner hat den Ring „Im Vertrauen auf den deutschen Geist entworfen“..

Na gut, bei Wagner war's ja auch nur eine Utopie. Gucken Sie mal das 19. Jahrhundert an, da gab's den deutschen Geist gar nicht. Bismark hat das deutsche Reich erzwungen, deshalb sieht man ihn immer in der Pose von Siegfried: Das Schwert Nothung, in seine Einzelteile zerfallen, das waren die deutschen Länder, die Bismark wieder zusammengeschmiedet hat. Das sind auch die Utopien von Wagner, das geistig zerstörte Land wieder zu einer Einheit zu führen. Er war ein Utopist von einem großen Gedanken. Daß dieser sich pervertieren kann, ist ja ganz klar. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Wort Deutsch gestrichen. Die deutsche Sprache wurde zerstört, sie amerikanisierte sich, sie ist heute eine business-Sprache. Nun haben wir die Splitter und es ist vollkommen blödsinnig, die Sehnsucht zu haben nach der ursprünglichen Einheit. Es muß was Neues werden.

Diese Männer und Frauen am Ende bestaunen den Abgang einer Ideologie - fängt da das Gemetzel nicht erst an, siehe Osteuropa?

Alles, was sich im Ring noch an Heroen abspielt, wird entlassen in eine Welt, die eben anarchisch ist. Die Anarchie ohne Utopie, ohne Hoffnung, ist eben die brutalste.

Aber die Welt der Verträge ist auch nicht gerade verlockend?

Ja, stimmt. Die Sehnsucht nach dem Paradies ist geblieben.

Sie würden eher für den Vertragszustand plädieren?

Ja. Ich will vielleicht etwas ganz Furchtbares sagen. Die Welt des Kalten Krieges scheint mir von unserer heutigen Situation betrachtet weniger gefährlich als jetzt. Und das hat was mit diesen Verträgen zu tun. Meine Angst sind die Dinge, die aus dem Kleinen, Zufälligen, Unvorstellbaren passieren. Und unsere Welt ist für mich unvorstellbar geworden. Auf dem engsten Raum passieren Unbegreiflichkeiten.

Reagiert Ihr Theater darauf?

Es gibt immer nur die Möglichkeit, die Angst aufzuzeigen.

Und diese Angst ist in Ihre Inszenierung eingegangen?

Nein. Diese Inszenierung beschäftigt sich mehr mit Verträgen. (lacht)

Sie haben sich zusammengenommmen?

Ja. Ich bin ein Mensch, der immer irgendwo noch versucht, nicht in sich zu zersplittern. Über die Welt der Verletzungen von Ordnungen kann ich immer noch den Versuch einer Ordnung sehen.

Aus dem 68er ist der Post68er geworden, der Mut zuspricht?

Nein. Der 68er, der kritisiert hat, war - um's ehrlich zu sagen - eine Attitüde. Es war eine Jugendbewegung. Es war ein Gefühl, daß wir wichtig wurden. Das Nachdenken über Politik kam bei mir später.

Wären Sie nie den Weg der Destruktion gegangen, wie die RAF?

Ich sah nicht den Weg der Destruktion, der sinnoll wäre. Ich sah Moden der Destruktion.

Die RAF als eine Mode?

Nein. Ich habe sie auch nie als Destruktion verstanden. Die RAF ist in eine Entwicklung gedrängt worden, um sie zu isolieren.

Wie entgingen Sie der Isolation?

Ich habe kein so aggressives Potential in mir, die Dinge, die ich möchte, durchzusetzen, auch wenn andere dabei kaputtgehen. Irgendwas hindert mich.

Ist das ein Konflik für Sie?

Ja, schon. Vielleicht wäre ich dann nicht beim Theater, weil hier nie echt gestorben wird. Wir lügen ja immer alle. Die Wirklichkeit, die wir vorspielen, ist immer eine schöne Lüge der Kunst.

Sie lügen und hoffen, damit etwas zu bewegen?

Ja, weil ich gerne Phantasie erwecken möchte, die nicht unbedingt meine ist.

Das ist liberal, aber vielleicht auch beliebig.

Das ist die Gefahr. Manchmal klappt's, manchmal nicht. Ich arbeite oft mit Irritationen, auch wenn man das nicht merkt: Die Position von Siegfried zum Beispiel, mit einer Hand in der Tasche beim Treueschwur. Die ist mir adäquater: in eine Position gezwungen zu werden, aber nicht damit umgehen zu können.

Fragen: Stefan Rosinski