Mafia ohne Mafiosi

■ Diskussion zum Thema „Die Mafia ist unter uns“ — aber wo?

Bonn ist nicht Palermo. Von „sizilianischen Zuständen“ kann in Deutschland nicht die Rede sein, aber die italienischen Banditen haben die Bundesrepublik im Visir: Falschgeld, Menschen- und Drogenhandel, Schutzgelderpressung und — vor allem in den neuen Bundesländern — immer mehr legale Investitionen mit Mafia-Geld werden von italienischen Verbrecherorganisationen kontrolliert. Das erklärte am Mittwoch abend Werner Raith, taz-Italienkorrespondent und Buchautor zum Thema „Mafia“ auf einer Veranstaltung mit dem Titel: „Die Mafia ist unter uns.“

Im Gegensatz zu Italien sei in Deutschland die Mafia „völlig unerforscht“, meinte Raith. Lange hätten auch die Mafiosi Respekt vor deutscher Ordnung und Korrektheit gehabt. „Als dann Lambsdorff nach seiner Verurteilung wieder Fraktionsvorsitzender wurde, sind der Mafia in Italien die Augen aufgegangen: Korruption zahlt sich also auch in Deutschland aus.“ Nach Gewinnen im Alkohol- und Tabakschmuggel und der Hilfe für die US-Truppen bei der reibungslosen Invasion in Sizilien 1943 habe die Mafia Anfang der siebziger Jahre mit dem Drogengeschäft begonnen. „Aus einer Mark Investition werden da in einem Jahr 144.000 Mark — die Mafia hat soviel Geld verdient, daß sie nicht mehr wußte, wohin mit dem Geld. Sie hat ihre Sprößlinge Nationalökonomie studieren lassen und ganz legal in die Wirtschaft investiert.“

In dieser Wirtschaftsmacht sieht Raith auch die eigentliche Gefährlichkeit der Mafia in Italien und möglicherweise auch in Deutschland. „In Italien sind mehrere Gesetze nicht verabschiedet worden, weil die Mafia gedroht hat, die von ihr aufgekauften Staatsobligationen auf den Markt zu werfen. Außerdem hat sie ihr Kapital deswegen aus Italien abgezogen - jetzt wissen Sie, warum die Lira so abgestürzt ist.“

Zwei Gefahren sieht Raith auch für Deutschland durch die Mafia: eine immense Ansammlung von Geld und Macht, die „Manöver verursachen kann, die keine Regierung übersteht. Jede Partei, jeder Politiker ist käuflich oder wenigstens mit Geld auszuschalten“ Und: Die „Ablösung von mafioser Strukturen auf andere Organisationen. Die Aufrüstung des Irak ist von einer Bank in Atlanta mit Mafia-Methoden durchgesetzt worden: Erpressung, Korruption, Mord — da waren keine Mafiosi dabei.“ Eine Mafia ohne Mafiosi.

Das „Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität“ (OrgKG), das im letzten jahr verabschiedet worden ist, nannten neben Raith auch Richter Bernd Asbrock vom Landgericht Bremen und Manfred Such, von den „Kritischen PolizistInnen“ und den Grünen NRW einen „lächerlichen Etikettenschwindel“. Der Begriff „organisierte Kriminalität“ sei nicht definiert, das Gesetz sei insgesamt völlig unpraktikabel. An den Gründen für Verbrechen ginge auch das neue Gesetz vorbei: „Wenn es Schutzgelderpressung gibt, dann haben die Menschen kein Vertrauen zur Polizei. Und solange es illegale Märkte für Drogen gibt, wird es da dicke Gewinne geben“, meinte Such. „Laut Gesetz ist der Motor des organisierten Verbrechens das Gewinnstreben — wie in unserer Wirtschaft“. Um einen Zugriff auf die politische Macht abzuwehren, brauche es in Deutschland vor allem „Einblick in den demokratischen Prozeß und darin, wie Gesetze zustande kommen.“ Viel Zeit, meinte Werner Raith, hat der Gesetzgeber jedenfalls nicht mehr: „Wenn die Mafia erst mal richtig da ist, kriegen wir sie nicht mehr los.“

Bernhard Pötter