Heiße Fleischmann, habe Musik

Deutscher Ernst oder bloß locker metzgerndes Bemühen um Lustigkeit? Die Berliner Band Fleischmann kommt mit brutal auf den Punkt zugeschweißten Musikstückabfolgen auf Tournee  ■ Von Annette Weber

Nie haben sie die Auszeichnungen der Volkskunstkollektive der DDR erhalten, nie sind sie in den Pophimmel Berlins gefallen: Fleischmann, Berliner Band mit schwerem Gepäck. Zwei der drei („das Trio-Konzept hat mich schon bei Police überzeugt“, Martin) Fleischmänner, Martin Leeder und Norbert Jackschenties, wohnten früher mal in Ostberlin. Bestimmt haben sie dort mit Punk angefangen; oder mit klassischer Kompositionslehre.

Vor Jahren nach Westberlin gezogen, machten sie dann ihre Fleischmann-Band. Eine ebenso brachiale wie diffizile Sache: Seelenruhig können sie als Metaller beschrieben werden, genausogut aber gelten sie bei manchen als artist's artists, avantgardistische Selbstzweckler.

Das würden die drei jungen Männer sicherlich nicht gerne hören, knallen sie doch mit ihren wirklich schwer verdaulich brutal auf den Punkt zugeschweißten Musikstückabfolgen direkt ins Herz der hausgemachten Blut- und Leberwurstliebhaber. Nichts an dieser Band zeigt die feinsinnigen, mimosenhaften Narzißmen, die man sonst eventuellen Avantgardebands an die Stirn kleben würde. Eher scheint es, als versuchten sie den brachialen Ernst, der ihnen aus den Musikfingern/-köpfen drückt, mit karikativen Lustigkeiten wie Devo-artigen Overalls und viel viel Kunstnebel sowie weißgleißendem Licht auf der Bühne zu vergessen.

Daß sie eine ernste Band sind, sagen sie selber. Martin, der Textgenerator und Trommler, hat Hoffnung, sieht die Band lockerer werden – vom Kopf in den Bauch? Oder vielleicht vom linearen zum vernetzten Denken? Wer die aktuelle Fleischmann-CD kennt, wer die neu dazugekommenen Texte hört, wer das Angebrülle von Norbert auf der Bühne erlebte, mag daran zweifeln, daß diese Band Spaß am Spaßhaben gefunden hat. Nach wie vor.

Warum sollten sie auch? Warum nicht besser jeden Ton auseinandersezieren, im Zimmer rumstehen lassen und dann – rumms – ganz laut und ganz gemein das Ganze wieder zum einzigen Hammerton zusammenzubraten? Das Schere-Stein-Papier- Spiel mit Schweißgerät schweißt Flex, Flex flext Schweißgerät spielen?

Das könnte sich verdammt nach sehr frühen Neubauten anhören (mit denen verglichen zu werden für Bands heutzutage so ist wie früher vielleicht mit Ton Steine Scherben), doch nichts daran stimmt. Nicht nur, weil Fleischmann Metal spielen – der Ansatz der beiden Bands könnte unterschiedlicher nicht sein. Martin sieht die Neubauten im schamanistischen Prinzip arbeiten, alle Energie verausgaben, exzessiv sein. Fleischmann dagegen sammelt alles zusammen, um es dann auf einen Punkt – Kopfschmerzen erzeugend – rauszupressen.

Überhaupt sind Fleischmann nicht so sehr am Erzeugen des alten, vor-elektrischen Maschinenklangs interessiert, sie schlagen nicht auf alle möglichen Fässer, um die Gefahr vorindustrieller Werkhallen aufleben zu lassen. Fleischmann versuchen, mit analogen Instrumenten das Maschinell-Computererzeugte heute aktueller Musiken nachzuzeichnen. Martin erklärt das, was sie wollen, in seinen Worten so: „Dieses Computerhafte ästhetisch zu machen, aber eben doppelt. Hm – ganz offensichtlich wird das beim DAF-Stück ,Alles ist gut‘, das wir covern. Das kann man nicht auswendig lernen, wie der Sequenzer bleept, wir haben dann immer das Harmonieschema mit auf der Bühne für dieses Stück. Und auf der ersten Platte, bei ,Seewolf‘, gibt es 'ne Stelle, das ist wie ein Computervirus, sehr willkürlich, sehr chaotisch – da passiert was, das anmutet wie ein Programmierfehler. Das ist unsere Umsetzung der neuen Technologien, aber immer mit Hauptaspekt auf die handgemachte Musik. Wir wollen handwerklich sein.“

Auf ihrer jetzt neu angefangenen Tour werden die drei nicht nur Neuheiten in der Besetzung (Bassist Gerrit geht, Bassist Michael kommt) aufweisen. Bei Fleischmann wird fortan gesungen, genau genommen schon seit der letzten CD. Nicht daß das nun keine andere deutsche Band täte, auch daß sie deutsch singen, wird seit Blumfeld und Hamburg, Nena und Mutter keine/n mehr so richtig verwundern. Nur was sie singen, ist schon ganz schön weird. Wo Blumfeld ein Jahrzehnt nach der Frauenbewegung das Politische am Privaten entdecken, scheinen Fleischmann sich auf die „Nur der Expressionismus ist politisch“-Artikulationsform zurückzuziehen. Nichts ist da vom selbstreflektierenden Subjekt zu hören, dessen innerste Fiesigkeit die Ur- Einheit des ganzen Systems ist. Nein, alles wäre in Ordnung, wäre das schlechte Allgemeine nicht, gegen das revoltiert wird. Martin textet monolithisch von Halsabschneidern, Hungerleidern, vom Zermahlenwerden in riesen (Polit?-)Maschinen. Die deutsche Einheit als kafkaeskes Realitätsverwirrung-durch-Bürokratie-Bennsche-Krebsstation-trifft-auf-Sh akespeare-Sonett?

Jedenfalls hört es sich so an: „Gehärteter Stahl greift voller Entzücken Alles was fest ist sanft zu zerdrücken Geschraubt an die Platten steht er gelassen Von kundigen Händen Fleisch zu erfassen Kreisendes Hausrad der niederen Klasse Was vorher in Stück wird blutige Masse Mit mahlender Kurbel krachen die Knochen in düsterer Öffnung bleibt nichts mehr zu hoffen“ (von der LP „Fleischwolf“, 1992).

Mit dieser, in Wien würde man schleimigerweise sagen: Melange, von außen staubtrocken und superanstrengend, wandern die Fleischmänner metzgernd umher und hinterlassen verstörte Jugendliche, etwa Pearl-Jam-Headbanger, Leute, die ja nicht gekommen sind, um kunsthochschuleninspiriertes Todesmetall zu hören. Außerdem werden unzählige schwarze Hornbrillenträgerinnen mit wirklich sehr kurzen Haaren entzückt – wie Langhaarige nach einem Joint – stehenbleiben und vielleicht irgendwas von Katharsis reden. Wenn sie dazu nach dem vielen Headbangen noch fähig sind.

Die Fleischmann-Tournee:

Heute, 15. 10. Leonberg-Höfingen, Jugendhaus

16.10. St. Gallen, Grabenhalle

17.10. Frankfurt, Negativ

18.10. Essen, Zeche Carl

19.10. Köln, Bürgerzentrum Ehrenfeld

20.10. Hannover, Flohzirkus

21.10. Hamburg, Marquee

22.10. Oldenburg, Ort noch ungeklärt

23.10. Flensburg, Volksbad

24.10. Beremerhaven, Roter Sand

Aktuelle LP: „Fleischwolf“ (Noise Records/EFA)