■ Zur Person: Vom Pragmatiker zum Chefideologen
Zum ersten Mal im Interview mit der taz: Wolfgang Schäuble, der Fraktionsvorsitzende der CDU / CSU im Bundestag. Schäuble, 1942 geboren, ist 68er, aber auch innerhalb der Jungen Union, der er 1961 in Freiburg beitrat, gehörte er nicht zu den Reformern. Intelligent, effizient und verbindlich-korrekt absolvierte der Jurist Examen, Berufslaufbahn und eine beispielhafte Karriere in der CDU. Schon dem dreißigjährigen Bundestagsabgeordneten Schäuble wurden allseits Sachlichkeit und Sachverstand bescheinigt, diskretes Management blieb sein Markenzeichen. 1981 machte der damalige Oppositionschef Helmut Kohl ihn zum parlamentarischen Geschäftsführer und ließ ihn dann nie mehr aus seiner Nähe, sei es als Redenschreiber, als „Bundesminister für besondere Aufgaben im Bundeskanzleramt“ (ab 84), als Beisitzer im CDU-Präsidium (seit 85), als Unterhändler für den Honecker-Besuch (87), als Innenminister (89).
Sein Verhandlungsgeschick im deutsch-deutschen Vereinigungsprozeß empfahl ihn nachdrücklich für höchste Aufgaben und warnte seine politischen Gegner, seine formale Verbindlichkeit nie wieder zu unterschätzen. Schäubles schier unendliche Loyalität gegenüber Helmut Kohl stellte sich als geniale Überlebenstüchtigkeit heraus: er ist der letzte politische Kopf in der Umgebung Kohls, er wurde Kronprinz.
Nach dem Attentat vom 12. Oktober 1990 kehrte er mit besorgniserregender Schnelligkeit an seinen Bonner Schreibtisch zurück. Gelegentlich sei er von schneidender Härte, sagen einige seitdem über ihn. Er hingegen meint, man solle den Rollstuhl nicht zu seinen Gunsten auslegen – aber auch nicht zu seinen Ungunsten.
Der pragmatische Macher von einst ist inzwischen zum „Chefideologen“ des deutschen Konservativismus avanciert: „Dienen“ und alte „Werte“ will er wieder aufpolieren. Die Bundestagsdebatte um den Regierungssitz Berlin hat er allein entschieden. Das vergessen ihm manche nie. Seit dieser Zeit kennt man seine lange verborgenen rhetorischen Leidenschaften, die gefährliche Wirbel auslösen können – immer noch aber nennt er als seine Hauptaufgabe, Helmut Kohl den Rücken frei zu halten. Das läßt auf sichere Absprachen schließen: Schon 1996 könnte Kohl, der dann länger im Amt wäre als Konrad Adenauer, den Sessel im Bundeskanzleramt für ihn räumen.
Gelegentlich sucht Schäuble eigene politische Wege: er lotet aus, wann und wie es eine Vergangenheitsbefriedung im Osten geben könne; nicht zuletzt deswegen war er für Richard Schröder als Bundespräsidenten, bevor die SPD Rau nominierte. Sein Grundsatz: Deutschland wird derjenige regieren, dem die Menschen am meisten konsequente Führung zutrauen. A.V.
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