Yankee goes home

Sinn und Logik der US-Politik in puncto Somalia und Haiti erschließen sich weder der amerikanischen Öffentlichkeit noch dem Rest der Welt. Clintons Administration schlingert, nicht erst seit gestern, von einem Dilemma ins nächste. Denn nicht sie bestimmt über Wohl und Wehe, sondern der Kongreß diktiert dem Präsidenten in den Block, wie Außenpolitik auszusehen hat.

Wer dieser Tage nach symptomatischen Szenen für die derzeitige US-Außenpolitik suchte, dessen Mühen wurden letzten Dienstag im Kongreß mit einer Groteske belohnt. Die Meldung von vierzehn toten US-amerikanischen Soldaten war keine vierzehn Tage alt, im Weißen Haus war man ratlos, und im Parlament sammelte sich das Protestpotential, das einen sofortigen Abzug aller US-Truppen aus Somalia verlangte. Zu zweit waren sie angetreten – Verteidigungsminister Les Aspin und Außenminister Warren Christopher –, um den Parlamentariern Sinn und Logik der US-Politik in Somalia zu erklären. Letzterer verwandelte sich Zeugenberichten zufolge wieder einmal in ein Standbild – und sagte fast gar nichts. Ersterer verhedderte sich in widersprüchlichen Aussagen, fabulierte von einer „up-down“-Option in Somalia und forderte die Volksvertreter zum Brainstorming auf: „Was würden Sie machen?“

Nun ist die Förderung parlamentarischer Partizipation an sich nicht verwerflich, doch in diesem Fall repräsentiert Aspins Frage das ganze Dilemma der Clinton-Administration: Nicht sie gestaltet derzeit die US-Außenpolitik, sondern der Kongreß. Das ist die Folge einer fatalen Angewohnheit des US-Präsidenten. Oft konzentriert er sich erst dann auf außenpolitische Krisen, wenn sein Handlungsspielraum schon auf ein Minimum geschrumpft ist. Was Bill Clinton letzte Woche der amerikanischen Öffentlichkeit als neue Strategie und der UNO als neue Fakten präsentierte – erst Verstärkung, dann Abzug bis zum 31. März 1994 –, war nichts weiter als jener Kompromiß, den ihm Vertreter beider Kongreßparteien vorher diktiert hatten, um zu verhindern, daß im Senat mit Hilfe eines Finanzstopps ein Abzug aller US-Truppen bis zum 1. Januar oder 1. Februar erzwungen werden könnte. Diese Gefahr ist nur aufgeschoben. Am Mittwoch hatte Clinton einen früheren Abzugstermin nicht ausgeschlossen. Noch wird gefeilscht zwischen Weißem Haus und Kongreß um den genauen Zeitplan.

Gleichzeitig sahen sich die Clinton-Administration und die UNO mit einer weiteren Krise konfrontiert. Unter anderem, weil das Embargo viel zu früh aufgehoben worden war, fühlten sich Militärs und Polizei in Haiti offenbar stark genug, die Stationierung von über 200 US-amerikanischen und kanadischen Offizieren als Teil der peace keeping-Mission der UNO zu verhindern. Vor dem Hintergrund der Ereignisse in Somalia war auch die Entsendung amerikanischer Soldaten nach Haiti im US- Kongreß scharf kritisiert worden. Bill Clinton orderte die Offiziere zurück und übte sich in verbalen Drohgebärden gegenüber den haitianischen Machthabern.

Der Machthaber in Porte-au- Prince, General Raul Cédras, dürfte wenig Kompromißbereitschaft an den Tag legen, zumal Haiti in den letzten Monaten Ölvorräte angelegt hat, die für mindestens sechs Monate reichen. Die für den 31. Oktober geplante Rückkehr des von Cédras gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide ist in weite Ferne gerückt, eine neue Flüchtlingswelle nicht auszuschließen.

Der für die Beziehungen zwischen UNO und USA katastrophale Präzedenzfall wurde allerdings zweifellos in Somalia geschaffen. Bezeichnend mag sein, wie wenig Aufmerksamkeit US- Medien und US-Kongreß am Mittwoch zwei Stellungnahmen des Pentagon und des Internationalen Roten Kreuzes (IRK) schenkten. Demnach seien bei den Gefechten in Mogadischu am 3. Oktober neben vierzehn amerikanischen Soldaten und einem malaysischen Soldaten mindestens 300 Somalis getötet worden. Das IRK forderte alle Konfliktparteien auf, sich an das Völkerrecht zu halten und „die Zivilbevölkerung aus Kampfhandlungen herauszuhalten“. Drastischer läßt sich die Pervertierung einer „humanitären“ Mission kaum dokumentieren.

Aus Sicht der UNO haben die Terminverhandlungen zwischen Legislative und Exekutive in Washington nur noch sekundäre Bedeutung. Egal ob die USA ihre Soldaten bis zum 1. Januar, 1. Februar oder 31. März abziehen: die Vereinten Nationen müssen nun, da auch der Abzug der italienischen Blauhelme in Aussicht steht, befürchten, daß damit die ganze Mission in Somalia zusammenbricht. Aus „Operation Restore Hope“, die laut UN-Generalsekretär Butros Butros Ghali ein Modellfall für die künftige peace keeping- und peace making-Politik der UNO werden sollte, könnte nun, im schlimmsten Fall, „Operation Restore Hunger“ werden.

Unbestritten ist, daß die UNO ein gerüttelt Maß an Mitschuld an der militärischen Eskalation in Somalia trifft. Doch im New Yorker Hauptquartier nimmt man mit Zorn und Panik zur Kenntnis, daß die Clinton-Administration in der US-Öffentlichkeit den Eindruck kräftig fördert, daß die UNO die Hauptverantwortung für das Desaster in Somalia trägt und es politisch unverantwortlich und „unamerikanisch“ ist, US-Soldaten mit Blauhelmen auf dem Kopf unter dem Banner des „Multilateralismus“ marschieren zu lassen.

Daß diese Sichtweise zum Prinzip amerikanischer Außenpolitik erhoben werden könnte, hatte sich bereits Ende September angebahnt, als Clinton seine erste Grundsatzrede vor der UN-Vollversammlung hielt und die Vorbedingungen für eine Teilnahme an künftigen peace keeping-Missionen gewaltig in die Höhe schraubte.

Vor diesem Hintergrund ist die Entsendung amerikanischer Truppen nach Bosnien – egal, ob unter Nato- oder UN-Kommando – faktisch unvorstellbar geworden. Die Debatte darüber bleibt der Clinton-Administration vorerst erspart, denn die Hauptbedingung für die Stationierung ausländischer Truppen, die Unterzeichnung eines „Friedensvertrages“ zwischen den drei Kriegsparteien und die faktische Auflösung das Staates Bosnien-Herzegowina, wird auf unabsehbare Zeit nicht erfüllt werden.

Szenarien für weitere UNO-Interventionen – ob in Georgien, Nagorny Karabach oder Angola – gehören vorerst ins Reich der Utopie. Andrea Böhm, Washington