Rot-Grün macht Bürgermeistern Beine

■ 400 Bürgermeister demonstrieren in Wiesbaden gegen die rot-grüne Verteilungspolitik / Korrektur des Landesetats gefordert

Frankfurt/Main (taz) – Knapp 400 BürgermeisterInnen aus ganz Hessen haben gestern in Wiesbaden gegen die „ruinöse“ Investitionspolitik der rot-grünen Landesregierung demonstriert. Die BürgermeisterInnen und die VertreterInnen der kommunalen Spitzenverbände verlangten von Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) und den Koalitionsparteien eine „Korrektur“ im Etat des Landes für 1994: 100 Millionen DM mehr für die Deckung von Lücken in den Verwaltungshaushalten der Kommunen – und dafür die Streichung von rot-grünen Reformprojekten in den Bereichen Umweltschutz, Nahverkehr und Sozialpolitik aus dem Landeshaushalt.

Bereits am Vortag auf einem Landtagshearing zum Thema hatten VertreterInnen der kommunalen Spitzenverbände eine Aufstockung der sogenannten Schlüsselzuweisungen des Landes an die Kommunen gefordert. Wie der hessische Städte- und Gemeindebund den Abgeordneten aller Fraktionen vorrechnete, könnten alleine durch den Verzicht des Landes auf den Bau von neuen Trink- und Abwasserablagen 50 Millionen DM eingespart und im Gegenzug an die Kommunen ausgeschüttet werden. Weitere Etatkürzungen zugunsten der Kommunen empfahlen die KommunalpolitikerInnen bei der Altenhilfe, dem Ausbau des ÖPNV und der Renaturierung von Bächen.

Gestern biß die Bürgermeisterei bei den Koalitionsparteien, die um den Erhalt der Herzstücke der sozial-ökologischen Haushaltspolitik bangten, auf Granit. Die Kommunen, so war von der SPD zu hören, hätten es in den vergangenen Jahren verabsäumt, ihre Haushalte auf Einsparmöglichkeiten hin zu „durchleuchten“. Und der Fraktionsvorsitzende der Grünen im hessischen Landtag, Rupert von Plottnitz, warf den Gemeindevertretern nach der Entgegennahme einer „Protestresolution“ vor, mit ihrer Demonstration gegen die Politik der rot-grünen Landesregierung falsche Fronten aufgebaut zu haben: „In Bonn werden die steuerlichen Rahmenbedingungen gesetzt, die die Länder und Kommunen schlucken müssen.“

Im Gegensatz zu allen anderen Ländern habe Hessen die Kommunen 1992 nicht mit den Kosten für die deutsche Einheit in Höhe von hundert Millionen DM belastet, sondern durch zusätzliches Geld für Kindergärten, Umweltschutzprojekte und den öffentlichen Personennahverkehr auch in den Kommunen sozialökologische Reformprojekte mit finanziert.

Die Koalitionsparteien warfen den BürgermeisterInnen gestern auch vor, mit dem freiwilligen Verzicht auf Einnahmemöglichkeiten die Finanzkrise in den Kommunen selbst mit herbeigeführt zu haben. „Während sie vom Land 100 Millionen DM mehr zur freien Verfügung fordern, verzichten die Kommunen vor Ort auf entsprechende Einnahmemöglichkeiten, wenn sie, wie in Wiesbaden und Kassel, die Getränkesteuer abschaffen wollen oder gar nicht erst erheben“, sagte der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, Reihold Weist. Klaus-Peter Klingelschmitt