Lokalkoloratur

Über die Ottenser Hauptstraße kann man gelegentlich Hamburgs größten Dichter huschen, seltener schlendern sehen, eine hagere Gestalt in dunkler Jacke, die Schiebermütze auf der hohen Stirn beschattet die Augengläser und verbirgt die lichter gewordenen Stellen auf dem Kopf, wo die Haare vom vielen Denken ausgefallen sind. Heute ist ein großer Tag für den in Altona eher im Stillen Wirkenden: „Was nachher so schön fliegt.../ wie lange ist darauf rumgebrütet worden.“ Das Prädikat „Repräsentant und Verwalter des literarischen Untergrunds, ein Dichter der Gasse und der Masse“ verlieh ihm Deutschlands oberste Dichterdomina Marcel Reich-Ranicki. Peter Rühmkorff, 63, der einst mit seiner Dichtung, begleitet von einer Jazz-Combo, auf die Straße ging, mischte sich mit Betrachtungen über die Naturgeschichte des Reims, mit volkskundlichen Studien „Über das Volksvermögen“ (“Rosamunde, schenk mir dein Sparkassenbuch“), mit modernen Märchen, Gedichten (“Schön, wenn einer mit Sprüchen vor euch hintritt, nichtwahr,/ wo ihr bloß noch mit dem Kopf zu nicken braucht?!“), Essays und Biographien in literarische und politische Geschäfte ein, aber hielt sich zurück angesichts des nationalen Koitus, „weil diese irrationalen Vorgänge für mich in nüchterner Prosa nicht mehr zugänglich waren“. Heute aber will man von ihm eine Rede hören, wenn er in Darmstadt den Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung erhält. Einer seiner Vorgänger, Wolf Biermann, nutzte seine Rede zur Verleihung der mit 60.000 Mark dotierten Auszeichnung zu seiner viel beachteten Abrechnung mit der vermeintlich subversiven Poetenszene am Ostberliner Prenzlauer Berg. Rühmkorff hingegen hat angekündigt, er wolle „brav“ sein. Dennoch darf man gespannt sein, was uns der ironiegeladene Schöngeist aufs Butterbrot schmiert. Verheißungsvoll tönt's aus einem Gedicht: „Anders gesagt, ich persönlich butter meinen Toast am liebsten von beiden Seiten.“ Vom Ende der Gratulationscour übersendet hiermit auch die taz die herzlichsten Glückwünsche. jk