Schluß mit dem Gejammer

■ Universitäten leiden unter hoffnungslos veralteten Strukturen - eine Hochschul-Journalistin plädiert für mehr Selbstkritik

Schluß mit dem selbstmitleidigen Gejammer der Hochschulen über ihre finanzielle Schachbrüstigkeit, mit dem sie von ihrer eigenen Reformunwilligkeit ablenken wollen. Wo bleiben die Innovationen und das Engagement der ProfessorInnen, wo bleibt die rigorose Selbstkritik an der Ineffektivität des starren bürokratischen Apparates, zu dem die akademischen Forschungs- und Lehranstalten nun mal geworden sind? Wer diese Sätze nur als böswillige Klischees abtut, kennt den deutschen Wissenschaftsbetrieb schlecht.

Die Krise der deutschen Hochschulen ist eben nicht nur eine der überfüllten Hörsäle, Personallöcher und Ausstattunglücken, sondern auch eine Krise der veralteten Strukturen und einer Verschlafenheit der Verantwortlichen in den Hochschulen selber. Während im europäischen Ausland die Akademikerschmieden unter dem Druck leerer öffentlicher Kassen zunehmend zu modernen Dienstleistungsunternehmen konvertieren, mit Management, Marketing und leistungsbezogener Zuweisung von Staatsmitteln, glauben sich viele deutsche WissenschaftlerInnen noch immer sicher in Humboldts verstaubtem Schoß: Kaum Bemühen um Studierende (die kommen ja eh), eine professorale Personalhierarchie, die die NachwuchswissenschaftlerInnen nicht angemessen einbindet, und, auch bei wenig oder gar keiner Leistung, garantiert der Beamtenstatus von Professoren Unkündbarkeit plus gute Bezahlung. Hinzu kommt, daß die angebliche Freiheit von Forschung und Lehre schon lange einer immensen Abhängigkeit vom staatlichen Gängelband gewichen ist. Vor allem der finanziellen.

Doch irgendwie hat man sich in der Misere ganz nett eingerichtet. Reformen dehnen die Selbstverwaltungsgremien der Hochschulen endlos in die Länge, bis niemand mehr weiß, worum es eigentlich geht, und alles wieder von vorne anfängt.

Vor allem die großen Universitäten liegen im Dämmerschlaf, die kleineren Fachhochschulen dagegen wirken hellwach. Lange Zeit als Hochschulen zweiter Klasse abgestempelt, haben sie sich inzwischen zum Musterkind deutscher Bildungspolitik gemausert. Relativ kurze, praxisnahe Ausbildung, die stetige Entwicklung neuer, nachfrageorientierter Bildungsangebote - kurzum, die FHen präsentieren sich innovativ und kreativ - trotz finanzieller Mangelzustände. Und das gilt auch für Hamburg. Kein Wunder also, daß Wissenschaftssenator Leonhard Hajen (SPD), ebenso wie seine KollegInnen in den übrigen Bundesländern, gerne die Zahl der Fachhochschulstudienplätze erhöhen würde.

Gestufte Abschlüsse wären eine Lösung

Doch angesichts des mageren Hamburger Stadtsäckels kommt ein Ausbau von Alternativen zur Uni nicht in Frage. Also soll sich nun die Universität bewegen und endlich auch berufsbezogenere Ausbildungsgänge anbieten, die die NachwuchsakademikerInnen nicht übermäßig lange in Anspruch nehmen. Dieser Wunsch mag etlichen Studierenden aus dem Herzen sprechen. Zwei Gründe seien genannt. Zum einen gehen viele Studierende schon länger davon aus, daß die eigentliche inhaltliche Qualifizierung im „training on the job“ erfolgt. Das vorwiegend wissenschaftlich ausgerichtete Studim wird teilweise als Ballast empfunden. Zum anderen haben rund ein Drittel der Studierenden vor Studienbeginn eine Berufsausbildung abgeschlossen. Für sie ist das Studium eine Weiterbildung, die in der jetzigen Form zu lange dauert.

Ein möglicher Ausweg: Gestufte Abschlüsse, wie sie beispielsweise an angelsächsischen oder französischen Hochschulen üblich sind. Rund 70 Prozent der Hochschulen weltweit sind nach diesem Modell organisiert. Auch in der Bundesrepublik ist die Diskussion um den sogenannten Bachelor-Abschluß aufgeflammt. Einer der ersten, der damit Aufsehen erregte, war Uni-Präsident Jürgen Lüthje. Doch in der Hansestadt ist die Idee versandet. In Augsburg und Bochum dagegen wurde und wird die Umsetzung erprobt. Auch die Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) arbeitet seit langem nach diesem Modell. Dort erhalten die Studierenden nach sechs Semestern ein erstes berufsqualifizierendes Diplom. Danach können sie sich entscheiden, ob sie noch drei Semester dranhängen und den zweiten, universitätsadäquaten Abschluß als Diplom-SozialökonomIn erwerben, der zur Promotion berechtigt und damit auch den Eintritt in die wissenschaftliche Laufbahn ermöglicht.

Doch bei der Akzeptanz der sogenannten „kleinen Abschlüsse“ fällt vor allem der Wirtschaft eine Schlüsselrolle zu. Während die HWP-Abschlüsse als Ausnahmeerscheinungen inzwischen von öffentlichen und privaten Unternehmen anerkannt sind, tut sich die Wirtschaft ansonsten schwer, AbsolventInnen kürzerer Studiengänge zu akzeptieren - und das obwohl sie selbst die langen Studienzeiten anprangert. So haben Fachhochschul-AbsolventInnen sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der Privatwirtschaft weniger Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten als Uni-AbsolventInnen. Universitäten, die Kurzstudiengänge ausprobiert haben, wie die Uni Augsburg, wurden von der Wirtschaft abgestraft, indem man ihre AbsolventInnen nicht akzeptierte.

Kurze Studienzeiten ansich sind kein Wert, aber lange Studienzeiten auch nicht. Und: Praxisnahe Ausbildung und Wissenschaftlichkeit müssen kein Widerspruch sein. Im Gegenteil. Beide Bereiche können in der gegenseitigen Auseinandersetzung gewinnen. Vorausgesetzt die Partner Wissenschaft und Wirtschaft meinen es ernst. Die Wirtschaft, die von den Hochschulen Flexibilität und Reformbereitschaft fordert und diese nicht entsprechend unterstützt, erweist sich selbst als doppelzüngiger Verhinderer. Sigrun Nickel

Die Autorin war bis 1992 taz-Redakteurin für Bildungspolitik und arbeitet heute als Pressereferentin der HWP sowie als freie Journalistin.