Mit der Druckmaschine zur Revolution

Die linke Druckerei „Oktoberdruck“ feiert ihr zwanzigjähriges Bestehen / Kein Kollektiv mehr, aber ein florierender selbstverwalteter Betrieb / Die meisten Aufträge sind „politically correct“  ■ Von Bernd Pickert

In der ersten Etage liegt Teppichboden. An kleinen Tischen werden Kundengespräche geführt, in einem Büro hinter Glas sitzen die beiden Geschäftsführer. Eine Skulptur steht im Empfangsbereich, Aktenordner und Kataloge geben einen Überblick über die Produktpalette, an einer großen Tafel plant die Verwaltungsabteilung die Auftragsabwicklung. Im Konferenzraum stehen weiße Tische, eine ruhige, gedämpfte Atmosphäre.

Eine Etage tiefer rotieren die Druckwalzen. Ein Kunstkatalog läuft gerade durch die Fünf-Farben-Druckmaschine, auf Paletten aufgestapelt liegen leere und bedruckte Papiere, Probeläufe vom „Amtsblatt der Stadt Potsdam“ finden sich da genauso wie das aktuelle Kinoprogramm für die Litfaßsäulen. In hohen Regalen stapeln sich Druckfarben. Futuristisch gestaltet schlängelt sich eine Entlüftungsanlage durch den Drucksaal, Menschen in blauen Overalls laufen umher, manche tragen Ohrenschützer ob des Lärms der Maschinen. Der Geschäftsführer, in weißem Hemd, schwarzer Hose, eleganten Lederschuhen, führt den Besucher durch den Betrieb, erwähnt den Jahresumsatz von sechs Millionen Mark im letzten Jahr. Eine ganz normale Druckerei. Fast. Denn hier, in den Räumen von „Oktoberdruck“, steckt ein großes Stück linker Geschichte, wurde jede erdenkliche Form kollektiver Selbstverwaltung ausprobiert.

Die Völker hörten 1973 die Signale

Würde sich heute ein Projekt „Oktoberdruck“ nennen, wer wähnte da nicht einen Club freudiger Wiedervereinigungsapologeten? 1973 war das anders. Die Völker hörten die Signale, die das damalige Drei- Leute-Kollektiv vom Kreuzberger Paul-Linke-Ufer 44a aussandte, und als „Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ ging es mit einer neuen Druckmaschine direkt auf den Weg zur Revolution. Viele, viele linke Gruppen brauchten Unmengen an Flugblättern, Broschüren und Heftchen – Oktoberdruck brachte den Klassenkampf aufs Papier. In der schon veränderten Szenerie Ende der siebziger Jahre liefen hier die ersten Ausgaben von zitty, courage und tip aus der Walze.

Wenn um halb zwei Uhr mittags die Schicht wechselt, dann treffen sich alle im dritten Stock in der Kantine. 40 Tellerchen sind da an langen Tischen aufgereiht – bezahlen muß niemand. Genauer: Bezahlen müssen alle, ob sie nun essen wollen oder nicht. Die Küche wird aus der Betriebskasse finanziert. Und wenn da größere Ausgaben anstehen oder die Aufträge ausbleiben, gibt's für alle weniger Lohn. Denn das Modell, das sich die „Oktoberdruck GmbH“ zur gerechten Lohnauszahlung verschrieben hat, basiert auf „ertragsorientiertem Stundenlohn“. Abhängig von den Einnahmen, arbeiten die DruckerInnen jeden Monat für einen anderen Stundenlohn, je nachdem, was der Betrieb erwirtschaftet hat. Dieser Stundenlohn ist dann aber für alle gleich, ob sie nun in der Beletage am Computer sitzen oder im Erdgeschoß die Druckplatten montieren.

Was ist nicht alles versucht worden in den zwanzig Jahren. Da gab es grundsätzlich gleichen Lohn für alle – und böses Blut, wenn einige weniger arbeiteten als andere. Da gab es die reine Bedürfnisorientierung – jeder nahm sich soviel wie benötigt – und das war praktisch nicht zu planen. Da mußte ab 1980 jedeR MitarbeiterIn auch GesellschafterIn der GmbH werden – kollektiv zwar, aber eben auch mit dem vollen Risiko für alle.

Da sollte, wie in den meisten selbstverwalteten Betrieben, gar nicht erst irgendeine Hierarchie aufkommen – jedeR sollte alles machen können, eine ständige Arbeitsplatzrotation. Nur wurden die Druckmaschinen bald komplizierter, und Spezialisierung war gefragt. Und Hierarchien gab es dennoch – informell und daher unangreifbar. Alle Entscheidungen mußten kollektiv getroffen werden, ob es nun um einen neuen Kühlschrank für die Küche ging oder um eine neue Druckmaschine für mehrere Millionen Mark – die Zeit ging dahin in langen Diskussionen.

Klare Arbeitsteilung in allen Bereichen

Und dann, Anfang der 90er, war es wieder einmal soweit, daß eine ganze Reihe der MitarbeiterInnen ausgepowert aufgab. Nicht, daß „Oktoberdruck“ in wirtschaftlichen Schwierigkeiten gesteckt hätte. Die Auftragslage war unvermindert gut und der Kauf zweier sehr teurer neuer Druckmaschinen geplant. Die Zahl der MitstreiterInnen verdoppelte sich – aber es mußten neue Organisationsformen gefunden werden. Oktoberdruck war nicht der erste kollektive Betrieb, der sich einer professionellen Betriebsberatung unterzog.

Nun gibt es eine klare Arbeitsteilung in den Abteilungen, mit Abteilungsleiter, Geschäftsführer und einem Aufsichtsrat. Sie alle aber, und das ist das besondere, sind gewählt und abwählbar, und sie bekommen nach wie vor den gleichen Lohn wie alle anderen. Und GesellschafterInnen müssen nicht mehr alle werden, sie können es aber. Daß es trotz der klaren Aufteilung in Verwaltung, Führungspositionen und ArbeiterInnen keinen Betriebsrat gibt, mag manchem gestandenen Gewerkschafter die Gallenblase anschwellen lassen. Bei Oktoberdruck übernimmt der Aufsichtsrat diese Funktion – so wenigstens beschreibt es Geschäftsführer Michael Schäfer. Die vier Personen im Aufsichtsrat dürfen keine Führungsposition haben – sie sollen die Leitungsebene koordinieren, bei Konflikten schlichten.

Wir sind kein Kollektiv mehr“, sagt knapp und bündig Michael Schäfer und guckt etwas unsicher. Aber selbstverwaltet. Und auch wenn der Name Oktoberdruck heute nicht mehr Programm ist, sondern eingeführtes Markenzeichen, gibt es – doch doch – politische Ansprüche. So ist es definitives Prinzip, keine Gewalt- oder Pornoschriften und nichts aus der rechten Szene zu drucken. Im Alltag spielt das aber kaum eine Rolle. Zwar gibt es manchmal Diskussionen, als zum Beispiel vom Senat der Auftrag für die Dokumentation des Architekturwettbewerbs Spreebogen kam, der dann auch gedruckt wurde. Aber die meisten Aufträge sind politically correct oder unbedenklich, und so geht vom Computerbuch über das Grünstift-Magazin bis zur Visitenkarte alles durch die Maschinen. Politische Gruppen aber können noch immer auf solidarische Prese hoffen – Verhandlungssache am Kundentisch im ersten Stock.