■ Wenn Rockmusiker die Nasen zu tief in Politik stecken:
: Anarchos, Punk und Rock 'n' Roll

Dublin (taz) – London im Oktober 1968: Etwa 200 Skinheads überfallen eine Demonstration gegen den Vietnamkrieg und feiern in Sprechchören den Tory-Rechtsaußen Enoch Powell, der drastische Maßnahmen zur Begrenzung der Immigration fordert. Es ist das erste Mal, daß die Glatzen aufgrund politischer Aktivitäten Schlagzeilen machen. George Marshall, der damals die Skinhead Times herausgab, bestreitet jedoch, daß die Skins damals schon Rassisten waren: „Viele hielten sich an die Traditionen der Arbeiterklasse und wählten die Labour Party, und noch mehr waren überhaupt nicht an Politik interessiert.“

Der Rassismus kam vor 25 Jahren aus einer anderen Ecke: Die damalige Labour-Regierung gab wegen der steigenden Einwandererzahlen dem Druck der Rechten nahezu widerstandslos nach und erließ am 1. März '68 ein Gesetz: Menschen, die keine „enge Verbindungen mit Großbritannien“ vorweisen konnten, durften fortan nicht mehr immigrieren. Zum Ausgleich legte Labour ein Gesetz über Rassenbeziehungen vor, das ethnische Minderheiten in Großbritannien vor Diskriminierung schützen sollte. Drei Tage vor Verabschiedung des Gesetzes fuhr Enoch Powell, Verteidigungsminister im Tory-Schattenkabinett, noch einmal schwere Geschütze auf. In einer Rede in Birmingham sagte er: „Der Blick in die Zukunft erfüllt mich mit dunklen Vorahnungen. Wie der Römer scheine ich den Tiber vor lauter Blut schäumen zu sehen.“ Diese Hetztirade kostete ihn zwar seinen Platz im Schattenkabinett, doch 100.000 Menschen versicherten ihm in Briefen ihre Unterstützung.

Acht Jahre später kam ein prominenter Anhänger hinzu: Ausgerechnet in Birmingham erklärte der Rockmusiker Eric Clapton auf der Bühne des Konzertsaales, daß er mit Enoch Powells Ansichten über Immigration voll und ganz übereinstimme. Im selben Jahr salutierte Claptons Kollege David Bowie mit dem Hitler-Gruß und erklärte den entgeisterten Reportern auf einer Pressekonferenz: „Ich glaube, daß Großbritannien von einem faschistischen Führer profitieren könnte.“

Andere Musiker reagierten postwendend auf Claptons Rassismus: Kurz nach „Slowhands“ Rede wurde mit Hilfe der Socialist Workers' Party das Bündnis „Rock gegen Rassismus“ gegründet, das bis zu seiner Auflösung 1981 regelmäßig Konzerte veranstaltete und gegen Rassismus in jeder Form auftrat. Auch die Specials gehörten dem Bündnis an. Konzerte von Bands ihres 2-Tone-Labels waren deshalb von Anfang an Zielscheibe rassistischer Überfälle von Mitgliedern der „National Front“. Diese 1967 gegründete rechtsextreme Organisation war neun Jahre später zur viertgrößten Partei Großbritanniens avanciert und trachtete danach, eine neue Skinhead-Generation um sich zu scharen: „Oi!“ „Das war die stärkste Jugendbewegung, die jemals aus der Arbeiterklasse gekommen war“, behauptet der frühere Sounds-Journalist Garry Bushell, der inzwischen für das Boulevardblatt Sun schreibt. „Das war der echte Punk, und die Bewegung war eher links als rechts.“

Das mag vielleicht noch zu Beginn so gewesen sein, doch später gewannen die Rassisten immer mehr Einfluß. Der Manager der 4Skins gehörte dem rechten „British Movement“ an, und auf dem Sampler „Strength through Oi!“ heißt es vage: „Es ist unser Land und nicht ihres, und durch unsere Arbeit werden sie reich.“ Der Musiker Billy Bragg hegt keine Zweifel, wie das gemeint war: „Oi! ist das Produkt von Bushell, die Hälfte der Bands existierte überhaupt nicht. Es war eine Bewegung, die den Faschismus benutzte, um Leute anzuziehen, die nichts als Haß artikulieren konnten. Bushell hat behauptet, das sei in Ordnung, weil sie aus der Arbeiterklasse kamen. Das ist absoluter Bullshit.“ Obwohl Anfang der 80er Jahre „Oi! against Racism“ gegründet wurde, waren immer weniger Plattenlabels und Konzertveranstalter bereit, mit Oi!- Bands Verträge abzuschließen.

Während Oi! von der Punkbühne abtrat, verhalfen Crass Ende der siebziger Jahre dem Anarcho-Punk zur Auferstehung. Dank ihrer Hymne gegen den Malvinenkrieg („How does it feel to be the mother of 1000 dead“), die sogar eine Debatte im Londoner Unterhaus auslöste, wurden Crass weit über die Landesgrenzen bekannt. Mit dem Profit, den die Band mit ihrem eigenen Plattenlabel machte, unterstützte sie andere Gruppen wie die Poison Girls, Conflict und Flux of Pink Indians. Mit dem Bergarbeiterstreik 1984–85 wurde der Anarcho-Punk aggressiver, Gruppen wie Chumbawumba und Class War Federation („Eat the Rich“) hatten mit dem friedlichen Anarchismus von Crass kaum noch etwas gemein.

Die streikenden Kumpel brachten aber ein breites Spektrum von MusikerInnen unter einen Hut: Billy Bragg, Paul Weller, Elvis Costello, Madness und The Communards, aber auch Gruppen wie The Redskins, die Mitglieder der Socialist Workers Party waren. Nachdem die Torys die Bergarbeitergewerkschaften in die Knie gezwungen hatten, wandte sich eine ganze Reihe von MusikerInnen der Labour Party zu. Unter dem Namen „Red Wedge“ (Der rote Keil) traten während des Wahlkampfes 1987 unter anderem Tom Robinson, die Specials, Spandau Ballet, die Smiths und Billy Bragg auf, um Labour zur Macht zu verhelfen – vergeblich: Die Torys blieben den BritInnen erhalten. Bragg bedauert seinen damaligen Einsatz noch heute: „Ich habe mich mit Labour- Chef Neil Kinnock fotografieren lassen. Wahrscheinlich werden sie das Foto bei meinem Schauprozeß im nächsten Jahrhundert gegen mich verwenden.“

Red Wedge wandte sich schließlich anderen Sachen zu: Die meisten Bands machten bei „Artists Against Apartheid“ mit, andere gingen für amnesty international auf Tournee – wie Bruce Springsteen, die Simple Minds, U2, Lou Reed und Tracy Chapman – oder kümmerten sich um die hungernden Menschen in Äthiopien, wie der irische Sänger Bob Geldof, der im Juli 1985 „Live Aid“ organisierte. Zum 70. Geburtstag Nelson Mandelas fanden sich alle zusammen im Londoner Wembley-Stadion ein. Groß war die Verblüffung, als zum Finale mit Dire Straits plötzlich Eric Clapton auf die Bühne trat und mitmischte. Aber man ist ja nicht nachtragend. Auch Bowie hatte sich längst von seiner Fascho-Phase distanziert. Wenn die beiden doch bloß daraus gelernt hätten und die Klappe halten würden, statt noch immer ihren Senf zu politischen Themen dazuzugeben.

Dennoch – 25 Jahre nach den Anti-Vietnam-Demonstrationen ist einer der Demonstranten Präsident der USA geworden. Bill Clinton ist von den Medien zum „Rock-'n'-Roll-Präsidenten“ ernannt worden. Wie sich die Zeiten – und die Menschen – ändern, hatten die Beatles offenbar schon damals geahnt: Vor 25 Jahren veröffentlichten sie ihre Single „Revolution“ – in zwei Versionen für alle Fälle: In einer singt Lennon, man könne dabei auf ihn zählen („Count me in“), in der anderen behauptet er genau das Gegenteil („Count me out“). Ralf Sotscheck

Fotos: Beatles, David Bowie, Tracy Chapman (AP), Eric Clapton (Reuter), Lou Reed (B. Heinrich)