Kinder sollen mit entscheiden

■ Friedensforschung im Kindergarten statt an Supermächten / Grönemeyers Liedzeile als These: Wenn Kinder mehr partizipieren, nimmt die Gewalt ab

Herbert Grönemeyer bekommt wissenschaftlichen Beistand. Seiner Forderung „Kinder an die Macht“ folgt der Lüneburger Erziehungswissenschaftler Johannes Esser. Was andere nur verträumt mitsummen, ist Essers Ausgangsthese für seine Alltagsfriedensforschung: „Kinder brauchen keine Feindbilder. Sie haben inhaltlich und moralisch das Recht, eine lebenswerte Umwelt mitzugestalten.“ Die Forschungsgelder – zunächst 134.000 Mark – für das Projekt zweier niedersächsischer Fachhochschulen kommen von der Volkswagenstiftung.

Der Sozialwissenschaftler und Pädagoge Esser hat den Paradigmenwechsel der Friedensforschung konsequenter als andere betrieben. Von einer bipolaren Welt der Supermächte kommend, macht der Westfale nicht Halt bei den vielen Konfliktherden auf internationaler Ebene. „Die Friedensforschung hat lange die innergesellschaftlichen Gewaltstrukturen vernachlässigt“, meint der 57jährige. Er will nun lokale Ansätze verfolgen. Dort, wo es eine Explosion rassistischer und fremdenfeindlich motivierter Gewalterfahrungen gab, in den Städten statt an Supermächten / Grönemeyers partizipieren, nimmt die Gewalt ab

und Gemeinden, will Esser friedensfördernde Konflikt- und Partizipationsstrukturen entwickeln. Beteiligt werden sollen in dem Modell jene, die ohne Macht sind: Kinder. „Es geht darum, herauszubekommen“, sagt der Pädagoge, „inwieweit Kinder in der Lage sind, zu verändern.“ Konkret heißt das zum Beispiel, daß sechs- bis 14jährige einen Kinderstadtplan entwerfen. Allgemein sollen sie in ihren „Lebenswelten“ die Chance erhalten mitzuentscheiden. „Die Zukunft von Kindern darf nicht ohne sie verhandelt werden“, so Esser.

Berlin ist in vierlerlei Hinsicht Exempel für Essers Projekt. Etwa durch die Entwicklung partizipativer Stadtteilstrukturen wie im Wedding. Oder dem gerade von den Grünen beantragten Modellversuch einer größeren Autonomie von Schulen. Durch mehr Beteiligung der SchülerInnen kann dort eine „Erziehung zur Politik“ (Hartmut von Hentig) stattfinden. Auch das im Reichstag durchgeführte Kinderparlament wäre ein Beispiel größerer Partizipation. Freilich dürfe dies keine Show- Veranstaltung sein, meint Esser, der ein echtes Wahlrecht für Kinder und Jugendliche fordert.

In seinem Konzept ist dies freilich zunächst auf der untersten staatlichen Ebene angesiedelt: „Partizipation an der Politik der Kommune“ heißt dieser Praxisbereich des Teilprojekts an der FH Nordostniedersachsen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sollen anschließend in curriculare Weiterbildungskonzepte Eingang finden. Ergänzt wird dies durch ein an der Evangelischen FH Hannover angesiedeltes Teilprojekt. Dieter von Kietzel führt eine empirische Untersuchung von Gewaltstrukturen in der hannoverschen Nordstadt durch.

Die Förderung der Friedensforschung auf der Mikroebene ist nicht konkurrenzlos. Während die beiden FH-Forscher noch Geld für ihre Studien erhalten, steht die traditionelle Friedensforschung „weitgehend vor dem Aus“. So formulierte es der Tübinger Friedensforscher Volker Rittberger in Briefen an Bundespolitiker, darunter der Kanzler und der Außenminister. Die Projektzuschüsse, bereits 1992 drastisch reduziert, werden 94 vom Bund um weitere 1,5 Millionen gekürzt und im Jahr darauf gänzlich eingestellt. Damit könnte die Deutsche Forschungsgemeinschaft ihr Sonderforschungsprogramm zumachen, denn der Bund gibt 80 Prozent in den Topf der Friedensforschung. Das militärische Pendant hat dieses Problem in keiner Weise. Was der Bund bislang jährlich für die Friedensforschung ausgab, geht bei Volker Rühes Rüstungswissenschaft in zweidreiviertel Stunden drauf. Christian Füller