Tudjman bestreitet Existenzrecht Bosniens

■ HDZ-Kongreß zur künftigen Politik Kroatiens / Kritik kommt nur von außerhalb

Wien (taz) – Zu sozialistischen Zeiten war es schon fast ein Ritual: Wann immer der jugoslawische Staats- und Parteichef Josip Broz Tito einen KP-Parteitag einberief, meldete sich ein Häufchen mutiger Regimekritiker zu Wort und verlangte in einem offenen Brief grundlegende Reformen und den Rücktritt der Parteispitze. Es folgte immmer die Diffamierung der Kritiker durch die Regimepresse, danach die gerichtliche Verfolgung der Aufmüpfigen.

Zumindest in Kroatien scheinen sich die Zeiten nicht geändert zu haben. Einzig eine kleine Gruppe Intellektueller meldete sich vor dem für das kommende Wochenende in Zagreb angesetztem Treffen von 2.200 Delegierten der „Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft“ (HDZ) des Präsidenten Franjo Tudjmans zu Wort. Die Kritik „an der verheerenden Bilanz der kroatischen Politik“ kam wie gewohnt in einem offenen Brief – der nur in der kleinen Zagreber Literaturzeitschrift Erasmus veröffentlicht werden konnte. Die Autoren, darunter Krsto Ćivić vom Londoner Economist und die beiden international bekannten Schriftsteller Vlado Gotovoć und Slavko Goldstein konstatieren in ihrem Schreiben an das kroatischen Staatsoberhaupt: „Unter dem Patronat der Partei, der Sie vorstehen, werden Armee, Polizei und Wirtschaft politisiert, und dabei wird die rücksichtslose Bereicherung der privilegierten Oligarchie toleriert ... Wir denken deshalb, daß die Zeit für Ihren Rücktritt gekommen ist.“

Tudjman seinerseits kündigte im Vorfeld des Parteitages an, er werde am Wochenende in Zagreb „einen neuen erfolgreichen Kurs“ verkünden. Der übermächtige Landesvater gibt sich zuversichtlich, daß die Partei, die seit dem Ende des kommunistischen Regimes 1991 mit absoluter Mehrheit regiert, dort „ihre Reihen festigen wird“. Zudem soll die HDZ „die Werte der christlichen Zivilisation und der westlichen Welt noch tiefer“ in ihr Programm einbauen.

Tatsächlich sitzt Tudjman nach wie vor fest im Sattel, weil die Oppositionsparteien nichts gegen die HDZ ausrichten können. Zum einen sind sie in den Medien unterpräsentiert, zum anderen aber offenbar auch nicht in der Lage, eine alternative Politik vorzustellen. So sind die Äußerungen des Oppositionsführer Drazen Budiša zum Krieg in Bosnien, wie auch zur Frage der serbischen Minderheit in Kroatien, eher wirr als konstruktiv. Die parlamentarische Opposition wagte in Kroatien schon seit der Unabhängigkeit der Republik von der jugoslawischen Föderation von sich aus keine Annäherung an Oppositionelle in Belgrad oder in Sarajevo, und verspielte dadurch im westlichen Ausland ihre Glaubwürdigkeit schon vor der kroatischen Unabhängigkeit. Ohne nennenswerte Konkurrenz kann Tudjman seitdem seinen politischen Kurs ungestört weiterführen.

Im Vorfeld des anstehenden Parteikongresses gab es denn auch aus der regierenden HDZ keinerlei Kritik am selbstherrlichen Führungsstil des ehemaligen Tito-Generals, der sich in den letzten zwölf Monaten mehrmals über Parlamentsentscheidungen einfach hinweggesetzt hatte. Offenbar ohne Absprache startete Tudjman im Frühjahr den Angriff der kroatischen Armee an der Maslenica- Brücke bei Zadar, vor wenigen Wochen gegen serbische Stellungen bei Gospić. Trotzdem wird auf dem anstehenden Parteitag mit keinen großen Überraschungen gerechnet, wenngleich nicht ausgeschlossen ist, daß es zu Auseinandersetzungen zwischen dem gemäßigten und radikalen Parteiflügel kommen kann.

Die „Tauben“, verkörpert vom stellvertretenden Parteivorsitzenden Radić, wollen die HDZ mit Blick auf die angestrebte Mitgliedschaft im Europarat und in der EG, in eine Art „kroatische CDU“ umwandeln; die „Falken“ um Verteidigungsminister Susak und Parlamentspräsident Vladimir Šeks setzten dagegen auf ein Großkroatien. Sie wollen die von serbischen Truppen besetzten Landesteile mit Waffengewalt zurückerobern, aber auch langfristig die selbsternannte kroatische „Republik von Herzeg-Bosna“ von Bosnien abtrennen und dem kroatischen Mutterland einverleiben.

Welcher Parteiströmung sich Tudjman verschrieben hat, ist nicht immer klar auszumachen. Derzeit scheint es jedoch, daß er sich eher mit den Falken verbunden fühlt – und damit eine Wiederauflage die kroatisch-serbischen Krieges bewußt einkalkuliert. Im HDZ-Parteiorgan Glasnik gab er vor kurzem erstmals offen zu verstehen, daß er die staatliche Souveranität von Bosnien nie wirklich gutgeheißen hatte, auch wenn Kroatien die Nachbarrepublik vor zwei Jahren völkerrechtlich anerkannt hatte. „Wenn wir Bosnien hätten erhalten wollen“, so der Schlüsselsatz im Glasnik, „dann hätten wir auch das alte Jugoslawien erhalten können.“

Tudjman umschreibt damit seine alte Idee, alle Kroaten müßten langfristig in einem Nationalstaat leben und nicht in einer Föderation mit anderen Völkern – wie dem ehemaligen titoistischen Staat der Jugo(zu deutsch Süd)-Slawen. Wie es scheint, teilen die meisten Kroaten die Auffassung ihres Präsidenten. In den letzten Tagen äußerte sich zumindest die parlamentarische Opposition nicht einmal kritisch zu Tudjmans Ausführungen. So bleibt die Warnung des kleinen Grüppchen der Regimekritiker um Gotovoć und Goldstein ungehört, und Tudjman darf in Zagreb höhnen, daß „gewisse Herren nichts von Vaterlandsstolz verstehen“ und sogar bereit seien, „das alte Jugoslawien in dieser oder einer anderen Form wiedererstehen zu lassen“. Karl Gersuny