Kraftwerksbesetzung geht weiter

■ Bergleute verhindern das Löschen von Importkohle / VEW-Kraftwerk in Bergkamen läuft nur noch auf kleiner Flamme / Keine Strafanzeige gegen Besetzer / CDU: Klassischer Fall von Nötigung

Bergkamen (taz) – Nach einem 30stündigen Dauereinsatz kam gestern früh für die rund 200 Besetzer des Bergkamener Steinkohlekraftwerks die Ablösung. Karl-Heinz Reimann, Betriebsrat von der niederrheinischen Zeche Friedrich- Heinrich, gab sich zuversichtlich: „Wir bleiben hier, auch wenn es zwei Wochen dauert.“

Die Kumpel von Rhein und Ruhr wollen mit ihrer Aktion gegen die Verstromung von Importkohle protestieren und gleichzeitig Druck auf die Bonner Regierung machen, damit die Zusagen aus der Kohlerunde von 1991 zum Einsatz der teuren deutschen Steinkohle eingehalten werden. In der nächsten Woche finden zu diesem Thema in Bonn neue Gespräche statt.

Am frühen Donnerstag morgen war die in einem kleinen Kreis höchst konspirativ geplante Besetzung angelaufen. So mancher erfuhr erst im Bus, wohin die Reise ging. In zwei Gruppen nahmen die Kumpel dann das Kraftwerk Bergkamen in Besitz. Während die einen im Morgengrauen das Haupttor besetzten, drang eine kleine Gruppe über einen Seiteneingang zur Schaltzentrale der Förderbänder und zur Entladestation am Datteln-Hamm-Kanal vor. Seither wird hier kein Gramm Kohle mehr entladen. Inzwischen warten fast ein Dutzend Binnenschiffer vergeblich auf das Löschen ihrer Fracht.

Gut 600.000 Tonnen Importkohle werden im Werkshafen pro Jahr per Schiff angelandet. Der Restbrennstoff für die 747-Megawatt-Anlage – etwa 550.000 Tonnen – kommt über ein 2 Kilometer langes Förderband direkt von der in Sichtweite liegenden Zeche Monopol. Was jetzt noch den Kohlbunker in Richtung Verbrennungsöfen verläßt, „geschieht unter unserer Aufsicht“, sagt ein Sprecher der Besetzer. Die im Vergleich zur tiefschwarzen Monopol- Kohle hellere, anthrazitfarbene Importkohle ist nicht mehr dabei.

Mit reduzierter Leistung läuft das Kraftwerk seit der Besetzung kontinuierlich weiter. Gänzlich vom Netz genommen wurde die Anlage entgegen anderslautenden Meldungen nie. Darauf haben sich beide Seiten geeinigt, nachdem am Donnerstag „die Sache zu kippen drohte“, wie Karl-Heinz-Reimann sich ausdrückt.

Das Bergkamener Kraftwerk wird von den beiden Energieunternehmen Steag, einer 100prozentigen Tochter der Ruhrkohle AG, und den Vereinigten Elektrizitätswerken Westfalen (VEW) aus Dortmund betrieben. Hier, in der obersten Etage, fiel die Entscheidung, von Zwangsmaßnahmen, z.B. wegen Hausfriedensbruchs, abzusehen. Das soll vorerst auch so bleiben, denn, so VEW-Sprecher Hans-Helmut Wittmer, „wir reagieren mit Geduld“. Noch erfreuen sich die Bergleute auch des Wohlwollens der Justiz. Weil die Besetzung „einen klassischen Fall von Nötigung“ darstelle, so der CDU- Fraktionschef Helmut Linssen gestern, könnte die Staatsanwaltschaft auch von sich aus ein Ermittlungsverfahren einleiten. Doch davon ist bisher keine Rede. Wenn die Staatsmacht will, wenn Bergarbeiter, Stahlkocher, Bauern oder Fernfahrer statt Atomkraftgegnern oder Friedensdemonstranten Straßen und Tore blockieren, dann lassen sich offenbar die notwendigen juristischen Pfade zur Deeskalation leichter finden. Walter Jakobs