■ Die ganz normale Sache
: Vier Kurden wurden letztes Jahr in Berlin gekillt. Weil es der iranische Geheimdienstboß, der in Bonn Freundschaften pflegt, so verfügte? Vor dem "Mykonos"-Pr0zeß, Beginn Ende Oktober, tun sich Mysterien auf

Die ganz normale Sache

Den Ermittlern der Bundesanwaltschaft ist letzte Woche ein dicker Fisch durchs Netz gegangen: der Drahtzieher einer, so das Bundeskriminalamt, „staatsterroristischen Aktion“. Der Auftraggeber eines, so die Staatsanwälte, vierfachen heimtückischen Mordes.

Der Mann gehört auf die Anklagebank, wenn am 28. Oktober vor dem Berliner Kammergericht die Tat verhandelt wird. Statt dessen bewegte er sich unbehelligt zwei Tage lang in der Bundesrepublik. Der Mann, Irans Minister für die Nachrichtendienste, Ali Fallahian, befand sich auf Einladung der Bundesregierung im Lande. Eine, wie er fand, „ganz normale Sache“. Schließlich kooperiere man bereits seit zwei Jahren. Die normale Sache hatte Bernd Schmidbauer, Staatsminister im Bundeskanzleramt, angeregt.

In geheimer Runde plauschten die beiden Herren mit den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Konrad Porzner und Eckart Werthebach. In dessen Hause waren die entscheidenden Expertisen über die Aktivitäten und die Gefährlichkeit von Fallahians Aktionstruppe erstellt worden ...

Plauschiges Tête-à-tête

Während Fallahian bilanzierte, man müsse gemeinsam den Terrorismus und den Drogenschmuggel bekämpfen, hat nach Ansicht des Sprechers des Bundeskanzleramtes, Eduard Ackermann, die Visite ausschließlich humanitären Aspekten gegolten. Allerdings war das für humanitäre Fragen zuständige Außenministerium nicht über den Besuch informiert.

Zeitpunkt und Umstände des Besuchs legen die Vermutung nahe, daß Fallahians Gespräche den vier Morden galten, die nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft sein Ministerium in Auftrag gegeben hat: dem Attentat auf die Führungsspitze der Demokratischen Partei Kurdistans im Iran (PDK-I) im Berliner Lokal „Mykonos“ am 17. September 1992. Bei dem Anschlag waren der Generalsekretär der Partei, Sadegh Charafkandi, deren Europavertreter Fattah Abdouli, der Deutschland-Repräsentant Homayoun Ardalan sowie der Dolmetscher Mohammadour Dehkordi getötet worden.

Die PDK-I ist in den Augen der iranischen Regierung eine „konterrevolutionäre Kleingruppe“, die es auch außerhalb des Landes zu bekämpfen gilt. Drei Wochen vor dem „Mykonos“-Attentat, am 30. August 1992, frohlockte Fallahian im iranischen Fernsehen; „Uns ist es gelungen, viele dieser Kleingruppen außerhalb des Landes oder an der Grenze Schläge zu versetzen. Wie Ihnen bekannt ist, handelt es sich bei einer der aktiven Kleingruppen um die Kurdische Demokratische Partei. Wir konnten ihnen im vergangenen Jahr entscheidende Schläge versetzen. Den Haupt- und Nebenorganisationen (der PDK-I) wurden schwere Schläge versetzt, und ihre Aktivitäten gingen zurück.“

Bereits Charafkandis Vorgänger im Amte des Generalsekretärs, Abd-el-Rhaman Ghassemlou, war im Juni 1989 Opfer eines Attentates geworden. Er wurde mit zwei Gefolgsleuten in einer Wohnung in Wien erschossen, als sie sich mit iranischen Regierungsvertretern zu informellen Friedensgesprächen trafen. Die Ermittlungen ergaben den dringenden Verdacht einer unmittelbaren Beteiligung der iranischen Delegationsmitglieder an der Tat.

Doch die mutmaßlichen Täter wurden nicht behelligt. Einer flüchtete auf das Gelände der iranischen Botschaft in Wien, der andere kehrte elf Tage nach dem Mord ohne Schwierigkeiten nach Teheran zurück. Erst im November 1989 wurde Haftbefehl gegen ihn erlassen, später stellte sich heraus, daß er unter anderem Namen an illegalen Waffengeschäften mit einer österreichischen Firma beteiligt gewesen war. Die mutmaßlichen Täter entkamen, so resümierte der Spiegel damals, „dank schlampiger Ermittlungen der österreichischen Polizei und offensichtlichem Druck der Teheraner Regierung auf Wien“.

Auch Fallahians Mann in Berlin, der mutmaßliche Drahtzieher des „Mykonos“-Attentates, Kazem Darabi, konnte sich schon früher bei Aktivitäten im Ausland Teheraner Protektion erfreuen. 1982 war er in Mainz an Ausschreitungen von hundert regimetreuen iranischen Studenten gegen Chomeini-Gegner beteiligt gewesen. Er wurde deshalb wegen gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung zu acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Eine daraufhin erlassene bestandskräftige Ausweisungs- und Abschiebungsverfügung wurde jedoch nach Intervention der iranischen Botschaft in Bonn nicht vollzogen.

Wiener Schlampereien

Die diplomatische Vertretung gilt als eine der iranischen Geheimdienstzentralen in Europa und zeitweilige Arbeitsstätte von Darabis Führungsoffizier. Deren Hausherr, Botschafter Seyed Hossein Mussawian, legt die Fährte der Attentäter sowohl im Fall Ghassemlou als auch im Fall Charafkandi in die Reihen kurdischer Separatisten. Sobald die kurdischen Führer Kontakte zum Iran aufnähmen, „werden sie ermordet“. Daß es rivalisierende Interessengruppen im Iran gebe, auf die der „Mykonos“-Anschlag zurückzuführen sei, hält er für undenkbar. Alle Probleme, die Sicherheit des Landes betreffend, würden im Obersten Sicherheitsrat besprochen, dem die Vertreter der jeweiligen Staatsgewalten angehören. Damit, so Mussawian, habe man die Sicherheit, „daß hier keinerlei Aktionen ohne Wissen des Sicherheitsrates geschehen“. Wenn dem so ist, dürfte auch keine Aktion des Geheimdienstes Vevak ohne Wissen Fallahians passieren.

Nach Ansicht des früheren Verfassungsschutzexperten für Terrorismus, Hans-Joseph Horchem, hat das „Mykonos“-Attentat bei dem Bonner Treffen eine wesentliche Rolle gespielt. Er vermutet „eine Verabredung zwischen Iranern und Deutschen, die auf die Freilassung der Mörder in Berlin hinauslaufen könnte“. Daß Fallahian nach seiner Rückkehr in Teheran den deutschen Geschäftsmann Gerhard Bachmann als Spion festnehmen ließ, sei „für die Deutschen ein Tritt in den Hintern“. Bachmann gilt nach Ansicht Bonner Regierungskreise als eine der Säulen der deutschen Gemeinde im Iran, der gegen ihn erhobene Vorwurf sei ohne Grundlage. Bachmann ist außer Helmut Szimkus der zweite Deutsche in iranischen Gefängnissen. Szimkus ist wegen Spionage für den Irak zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Fallahian selbst dementiert selbstverständlicherweise einen Zusammenhang zwischen seiner Visite und dem „Mykonos“-Verfahren. Er sei, so beteuerte er, an der Aufklärung des „Mykonos“- Falls interessiert.