„50 Jahre pervers“

■ Rosa von Praunheim, sympathisch-schwules „Golden Girl“ in Oldenburg

50 Jahre pervers macht müde. Aufgeräumt, abgeklärt, nahezu bieder und matt empfängt Rosa von Praunheim in seinem kleinen Oldenburger Hotelzimmer. Oldenburg — für Praunheim erste Station einer Lesereise. Heute hier, morgen Münster, übermorgen Dortmund. Seine „sentimentalen Memoiren“, die Autobiographie „50 Jahre pervers“, sagt er, sind kein Kassenschlager, aber auch kein Flop. Er ist's zufrieden.

Doch reden wir nicht übers Geld. Oldenburg, rund 150.000 Einwohner klein mit ganz viel Gegend drumrum, ein bißchen spießig, bürgerlich und protestantisch — das interessiert Praunheim. Diskriminierung? Repressionen? Gibt's den offen schwulen Bankdirektor?

Wie er sich da flegelt auf dem frischbezogenen Bett, schwarze Jogginghose, schwarzes Hemd, Nickelbrille und Gesunheitsschuhe: Alles scheint verloren von Glanz, Glamour und Exzentrik eines anstrengenden Radikalen — wären da nicht diese ständigen kleinen Attacken seiner Neugier, gepaart mit schier unausweichlichem Blick: „Fandest Du Deinen Vater scharf?“ Nein, Rosa, und zurück zum Interview.

Der Narziß scheint mit sich im Reinen. Und doch berichtet Praunheim immer wieder von Tutlingen, einem Kaff bei Stuttgart, wo Sex nur zur Zeugung und „schwul“ nur als Schimpfwort vorkommen dürfe. Tutlingen, das erschreckt Praunheim.

Doch Oldenburg ist nicht Tutlingen. Kein empörter Aufschrei, kein entsetztes Kreischen, als Praunheim im vollbesetzten Vortragssaal des PFL-Kulturzentrums dem Publikum der 90er die Frage der 70er stellt: „Was halten Sie von Analverkehr?“. Praunheim wird lebendig, dreht auf im rosa Frack, den er einst beim WDR trug. „Ich stelle mich.“ Munter plaudert er über seinen Sex, läßt ein Foto seines ehemaligen Liebhabers durch die Reihen kreisen, mixt in einer liebenswert-chaotischen Lesung, die eigentlich keine ist, Video- Ausschnitte aus seinen Filmen mit Zitaten aus an ihn gerichteten Liebesbriefen — Comedy, Nettigkeiten, Schwulenpolitik und Aids-Prävention in einem.

Die Nervensäge macht auf sympathisch und verschroben. Praunheim als schwules „Golden Girl“: Das kommt an. Der Applaus ist echt, zollt einem alternden Veteranen der Schwulenbewegung Tribut. Nach fünfzig perversen Jahren wird Praunheim gemocht — zumindest in Oldenburg. Jens Breder