„Wir sind abgekoppelt“

■ Bremens Finanzlage — aus Krönings Sicht

Der Vorwurf, der Bremer Finanzsenator Kröning habe am 6. 0ktober in seiner Haushaltspressekonferenz überraschend ohne den nötigen Optimismus die Finanzlage Bremens darlegte, reizt dazu, einmal in seine letzten Redemanuskripte hineinzusehen, die im September und Oktober in die Pressefächer verteilt wurden. Kröning liebt es, seine Sicht der Dinge und der Zahlen in halb- oder ganztstündigen Vorträgen zu erläutern, so am 14. September vor der IG Metall-Vertreterversammlung, am 23. September vor dem Industrie-Club, am 14. Oktober vor der Handelskammer Bremerhaven.

Die Maniskripte, nebeneinandergelegt, beweisen die Nützlichkeit des Schreibcomputers, anders gesagt: Kröning kommt immer wieder auf dieselben Grundgedanken zurück und formuliert sie — ob vor der IG Metall oder vor Industriellen — ohne Zugeständnisse an sein Auditorium zum Teil wortgleich: Ihm ist es ernst. „Das Leben auf Pump ist zu Ende, nicht nur vorübergehend“, heißt es da, „die Selbständigkeit des Landes hängt am seidenen Faden“.

Die Gemeinschaft von Bund und Ländern wird sich einen „Kostgänger“ Bremen nicht auf Dauer leisten, sagt Kröning immer wieder, und damit kommt er auf eine Interpretation der gewährten Entschuldungs-Milliarden, die sich bei anderen Mitgliedern des Senats nicht so anhört: Die 9 Milliarden sind nicht der Durchbruch, der Erfolg, sondern nur eine „Atempause“, eine allerletzte Frist, in der Bremen seine staatlichen Ausgaben reduzieren und die Einnahmeseite stärken kann. Für die Geber sind die 9,7 Milliarden eine Investition, mit der sie ihre laufenden Finanzausgleichs-Überweisungen nach Bremen für die Zukunft reduzieren wollen. „Die anderen Länder und der Bund wollen die enorme Hlfe von 9,7 Milliarden DM honoriert sehen. Wir haben fünf Jahre Zeit, doch jeder Tag zählt.“

Wenn der Erfolg noch gar nicht errungen ist, dann sind die nackten Zahlen des Konjunktureinbruchs in Bremen in der Tat alarmierend: Bremen kann nur 81 Prozent der Ausgaben durch Einnahmen decken, damit ist Bremen das absolute Schlußlicht unter den Ländern, selbst das Saarland liegt deutlich höher. Der Export ging 1993 im Vergleich zum Vorjahr um 67 Prozent zurück (westdeutscher Durchschnitt: 12,7), der Hafenumschlag ging um 3,6 Prozent zurück (West- Durchschnitt: plus 2,5), der Umsatz-Rückgang in der Industrie lag mit minus 9,5 Prozent nur knapp über dem Durchschnitt der alten Bundesländer (-8,4%). Bremen fällt weiter zurück, wo es doch den Anschluß wiedergewinnen will. Kröning: „Wir sind abgekoppelt.“

Mit seiner Verschuldung von 26.000 Mark pro Kopf liegt Bremen weit über dem Bundesdurchschnitt der westlichen Länder und Gemeinden (8.100 Mark). Nach den jetzt möglichen Prognosen wird Bremen aber von den aus Bonn jährlich überwiesenen 1,8 Milliarden nur zwischen 300 und 566 (1998) Millionen Mark zum realen Schuldenabbau einsetzen können. Daß am Ende des Jahrhunderts immer noch knapp 20 Prozent des Staatsetats zur Schuldentilgung verwendet werden müssen, heißt doch: so ist der Haushalt nicht zu sanieren. Der derzeitige Trend weiterer Abkopplung muß gewendet werden, „das strukturelle Defizit unseres Haushalts überwinden wir nur durch einen Doppelschnitt aus Stärkung der Einnahmen und Senkung der Ausgaben.“

Wie das geht? Den IG Metallern sagte Kröning unmißverständlich ins Gesicht: „Die beste Sozialpolitik ist eine aktive, wirksame Wirtschaftspolitik, genauer: Wirtschaftsstrukturpolitik...“ Für Investitionen stehen die Sanierungsmilliarden zur Verfügung — nicht für „konsumtive“ Dinge, die sich nicht rentieren und nicht zu zusätzlichen Einnahmen des Landes führen. Der Öffentliche Dienst muß über die bisherige Zielzahl hinaus verkleinert werden, „es ist noch mehr Druck nötig“, Verkehrsanbindung muß unternehmerische Investitionen ermöglichen, Flächen dafür müssen bereitgestellt, die wissenschaftliche Infrastruktur muß geschaffen werden.

Sanierung von Industriebrachen — als erster Schritt viel zu teuer und dauert viel zu lange. „Unseren Ämtern und ihren Verfahren muß Beine gemacht werden, wir müssen auch andere Organisationsformen suchen.“

Für das erforderliche Sonder-Investitionsprogramm mit einem Volumen von fünf Milliarden bis 2004, so Kröning, „gibt es nichts Vergleichbares“, es soll eben das „Überlebensprogramm“ sein.

Klaus Wolschner