■ Stadtmitte: Wildwuchs auf der grünen Wiese
Es ist Desastern eigen, daß Urheberrechte energisch abgestritten werden und Vaterschaftsfeststellungen schwer möglich sind.
Die Entwicklung ausgewogener Handelsstrukturen und somit auch die Wiederbelebung der Innenstädte im Osten der Republik drohen ein neues schlechtes Ende zu nehmen.
Zwischen Halle und Leipzig, um Frankfurt/Oder, bei Rostock: Die „grüne Wiese“ wird zum gigantischen Parkplatz, Verkehrsströme wälzen sich und die Kaufkraft der Städter in die flachen Großmärkte auf ehemaligen Äckern, und mancher hält das dann sogar für den ersten sichtbaren Aufschwung im neuen Land.
So jetzt auch bei uns: Berlin „ziert“ bald schon eine „Perlenkette“ aus sieben Projekten. In Eiche, Wildau, Waltersdorf, Großmachnow, Werder, Satzkorn/Marquardt und Dallgow kann sich der Verbraucher dann auf Verkaufsflächen zwischen 23.000 und 85.000 Quadratmetern tummeln, Parkplatz garantiert! Insgesamt entstehen dort 270.000 m2 Verkaufsfläche, womit das Umland eine weit über die dort vorhandene Kaufkraft hinausgehende Flächenausstattung erhält. Aber um die Kaufkraft der Ortsansässigen geht es vielleicht noch in den Sonntagsreden der Politiker, die Investoren sehen eindeutig den Markt Berlin.
Die Folgen sind fatal und keine von ihnen unbekannt: Der Westen hat sie ja schon hinter sich.
Der von Politikern umbuhlte und von Finanzämtern geliebte ortsansässige Mittelstand braucht nicht einmal verdrängt zu werden, er entsteht gleich gar nicht! Zumindest aber wird er auf absehbare Zeit nur in Einzelfällen und ohne marktbestimmende Wirkungen Erfolge erzielen.
Weitere Hauptinvestoren im Innenstadtbereich, wie Kauf- und Warenhäuser und Lebensmittelfilialisten werden sich hüten, im Sog der Großmärkte zu experimentieren. Entweder passen sie sich an und gehen auch vor die Tore der Stadt, oder sie kommen nicht. Und auf diese Weise verhindert eben auch jeder neue Arbeitsplatz auf der grünen Wiese gut drei Stellen im personal- und bedienungsintensiveren sonstigen Einzelhandel.
Die Folgen für die Umwelt sind bekannt, Flächenversiegelung in großem Maßstab und zusätzliche Verkehrsströme sind so ziemlich das letzte, was die Region noch braucht.
Die Auflösung der jahrtausendealten Symbiose von Stadt und Handel aber, der Verlust oder das Nichtentstehen von Urbanität, bringen noch weitergehende Folgen mit sich. Die Tristesse unbelebter Neubausiedlungen mit sinkendem Kulturangebot und hoher Arbeitslosigkeit sind idealer Nährboden für Reichskriegsflaggenträger und dergleichen.
Die Ehrlichkeit gebietet festzuhalten, daß wir mit den genannten sieben „Perlen“ am Hals gerade noch hinkommen könnten, wobei fatale Folgen in Einzelfällen nicht ausgeschlossen sind. Aber schon tauchen neue, über das Moratorium zwischen beiden Ländern hinausgehende Projekte aus dem Dämmer auf wie in Eichstätt, wo ein Investor am liebsten auf 700.000 m2 eine Supermall mit über 100.000 m2 Verkaufsfläche errichten würde, aber auch mit „nur“ 75.000 zufrieden wäre. Amigoreisen mit Kreispolitikern und anderen „Entscheidungsträgern“ dienen diesem edlen Ziel und scheinen ihre erprobte Wirkung nicht zu verfehlen.
Da sind wir auch schon bei denen, die es irgendwann sicher nicht gewesen sein wollen: Kommunalpolitiker, denen Ratschläge eines Einzelhandelsverbandes weniger wert waren als Hochglanzbroschüren von verheißenen Glitzerwelten, Berater aus dem Rheinland, die ihre Berlin-Aversion geschickt mit dem Groll mancher Ostdeutscher auf die Privilegien der „Hauptstadt der DDR“ verknüpften, Landespolitiker, die zu spät und zögerlich vom irrwitzigen und ruinösen Wettlauf zweier Länder in einer Region um die gemeinsame Kundschaft Abstand nahmen. Hierbei sei der Senat von Berlin von Kritik verschont, der seit Mitte der 80er Jahre konsequent eine Politik der Eindämmung jeglichen Wildwuchses auf der grünen Wiese verfolgt.
Die Bundesregierung war besonders flink: Nachdem fast alle Weichen gestellt und Züge abgefahren sind, beginnt man im Sommer diesen Jahres mit der Fahrplankonferenz und startet eine Initiative zur Revitalisierung der ostdeutschen Innenstädte. Spät. Was können wir in der Region noch tun?
1. Konsequente Einhaltung des Moratoriums, keine weiteren Ansiedlungen zuzulassen.
2. Strikte Umwidmungsverbote für genehmigte Fachmärkte.
3. In den Städten gute Konditionen und schnelle Verfahren für Handelsinvestitionen gewährleisten.
Sonst ist es wirklich zu spät. Nils Busch-Petersen
Siehe Bericht Seite 24
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