taz-Serie: Rot-Grün – (k)eine Perspektive für Hamburg?
: Mit Visionen gegen die Politikverdrossenheit

■ Erich Braun-Egidius fordert neues Denken und Zukunftsszenarien

Keine Zeit für die Zukunft – die Kasse muß stimmen (denn sie ist leer!). So oder ähnlich dachten manche und ich, als die Essentials der Koalitionsverhandlungen Rot-Grün verkündet wurden. Wer es mit der Zukunft dieser Stadt und deren Kinder ernst meint, muß sich von überkommenen Vorstellungen lösen und beginnen, sich mit dem neuen Denken zu befassen, das in Teilen der SPD und in einem großen Teil der GAL dazu dient, Zukunftsszenarien zu entwickeln, die unseren Enkeln eine lebenswerte Stadt erhalten.

Nun will ich anderen diese Fähigkeit nicht absprechen, aber sie verbergen sie geschickt oder pfeifen jugendliche Nachwuchsäußerungen umgehend in Reih und Glied zurück. Um so wichtiger ist der Versuch, die vorgeblich unvereinbaren Positionen auszudiskutieren und zu tragfähigen Kompromissen zu kommen.

Und zu den Zukunftsszenarien: Wer nach der Fahrt von Berta Benz 1886 den Bau von Autobahnen verlangt hätte, wäre für verrückt erklärt worden. Warum darf nicht auch einmal umgekehrt gedacht und gehandelt werden? Ich denke, die zunehmende Politikverdrossenheit hat zum Teil ihre Ursache auch in dem Mangel an Visionen. Die sogenannten Volksparteien haben ihre Vor- und Querdenker ins Abseits gestellt, die Quittung der Wähler wird 1994 noch härter ausfallen als bei der Hamburger Wahl.

Weil dieses Land und mit ihm dieser Stadtstaat im Interesse seiner Kinder und Enkel sich ändern muß, glaube ich, daß es den Versuch lohnt, in 45jährige, altbundesrepubklikanische verkrustete Strukturen neues Denken und Handeln einzuführen. Manches davon mag mir selbst und meiner Gewohnheit nicht gefallen, aber wenn ich Verantwortung trage, muß ich aufhören, Demokratie wie den Selbstbedienungsladen der Lebenden zu betreiben. Wir haben eine Chance, das zu ändern. Nehmen wir sie wahr.

Erich Braun-Egidius ist Geschäftsführer der „Patriotischen Gesellschaft von 1765“, der Hamburgischen Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe