Die Besten sterben jung und trinken aus

■ Wie die „Böhsen Onkelz“ endgültig in die Rechtschaffenheit heimkehrten: „Rock gegen Rechts“ in der Bremer Stadthalle

„Von mir aus singen sie vom Katzenficken, wenn's nur provoziert“, sagt Marcus, ein harter Rechter, ja durchaus ein Nazi, „mit Partei und allem“. Zum Konzert der „Böhsen Onkelz“ hat er aus Rheda-Wiedenbrück naturgemäß gewisse Bedenken mitgebracht: „Daß die nur nicht zu weich geworden sind!“ Den meisten Fans aber muß die vielfach ausposaunte Bekehrung der „Onkelz“ schon recht gewesen sein, denn wenig später flammten in der Bremer Stadthalle wahrhaftig die Feuerzeuge auf, wenn auch noch ein wenig zögerlich, als wär‘s dem Publikum selber nicht geheuer: Auf der Bühne stand ja doch eine Band, die sich vor wenigen Jahren noch mit Songtiteln wie „Türkenfotze kahlrasiert“ zu den härtesten Einheizern der Skinszene hatte rechnen dürfen. Und nun also durften die selben „Böhsen Onkelz“ endgültig als Stars der guten Gesellschaft erstrahlen: am Sonntag auf dem Festival „Rock gegen Rechts“.

Viertausend Fans feierten in der Stadthalle die Heimkehr der „Onkelz“ in die Rechtschaffenheit oder jedenfalls auf die Bühnen, von denen sie lange ausgeschlossen waren. Alte Krautrocker und junge Metal-Punks, langhaarige Faschistenhasser und martialische Glatzen, Gewerkschaftsjugendliche und durchaus auch Jungnazis waren gekommen und wuselten in überaus untypischer Mischung durch die Halle. Und alle lauschten in Frieden der Musik, die neuerdings die „braune Scheiße“ verdammt und dem „Wunder der Persönlichkeit“

„Mensch, schreib die Wahrheit!“ - Flöte, Jäggel und Maggi, „Onkelz“-Fans der ersten Stunde Foto: Tristan Vankann

huldigt.

Ehe die Reihe an die „Onkelz“ kam, dröhnte „Thunderhead“ aus Hannover nach Kräften, und auch die eingeborenen „Dimple Minds“ durften ihre Bierwampen ausschütteln. Aber erst als gegen Zehn aus den dichten Bühnennebeln der Versenkung die „Onkelz“ traten, kam der Geist über die Menge: „Die Erde hat uns wieder, so wie sie

uns kennt“, sangen die Heimkehrer; und die Musik knatterte in alter Härte, während die Texte sich vollends ins Poetische erhoben. „Die Besten trinken aus“, hatten noch die „Dimple Minds“ als Parole ausgegeben; nun hieß es: „Die Besten sterben jung“, und die Menge jubelte.

Es war das erste große Konzert nach Jahren der Verbannung. Zwar hatten die „Onkelz“ schon 1987 ihrer Vergangenheit abgeschworen; es hatte ihnen aber kaum einer glauben wollen. Die Veranstalter zogen sich vor ihnen zurück; einige dennoch geplante Konzerte fielen wegen öffentlicher Gegenwehr aus. Auch die meisten Plattenläden boykottierten die „Onkelz“. Wohl gerade deshalb schaffte es das letzte Album der Band, die „Heiligen Lieder“, auf den fünften Platz der Charts.

Zumal auch die Medien zunehmend Interesse zeigten; die „Onkelz“ wurden solange als Lieblings-Konvertiten durch die Talkshows gereicht, daß am Ende sogar der hiesige DGB und die Ausländerbeauftragte Dagmar Lill Zutrauen faßten. Vor allen Leuten unterstützten sie den Plan der „Onkelz“, pünktlich zum Verkaufsstart ihres neuesten Doppelalbums ein „Rock gegen Rechts“-Spektakel auszurichten.

Wenn es nach den Fans ginge,

hierhin die drei Jungs

hätte die Welt die Umkehr der „Onkelz“ schon früher erleben können: „Gut, die ham mal Mist gebaut, aber da war'n die siebzehn! Kann man denen doch nicht ewig vorhalten!“ sagt Tino aus Kassel, und Jäggel und Maggi und Stouch müssen aufs Heftigste beipflichten: „Die Onkelz sind ja immer nur verarscht worden von der Presse! Mensch, ich sach dir: Schreib wenigstens du die Wahrheit!“ Die Wahrheit ist, daß die „Onkelz“ sagen, „wie‘s wirklich läuft“, sagen die Jungens und beklagen mit Vehemenz die Maloche und die allgemeine Teuerung, und daß speziell die Disco ein Schweinegeld kostet. „Nee, die Onkelz, das ist richtige harte deutsche Musik!“ Deutsche Musik? „Ja. Kuckma' hier, das neue Lied: 'Ich sehe braune Scheiße töten'. Ist doch genau, was wir brauchen. Nicht so'n Mist wie von Störkraft.“

Nicht einmal der Jungnazi Marcus aus Rheda-Wiedenbrück mag den „Onkelz“ ihre Wende so recht krumm nehmen: „Nee, auch Linkssein kann man lernen, klar.“ Er persönlich hat da sowieso keine Probleme, sagt er. „Mein bester Kumpel ist so'n Antifa-Typ. 'Tach, braune Brut!' sagt der zu mir, und ich dann: 'Na, Bolschewik!' Der überspielt mir immer das Neueste von seinen Toten Hosen, und von mir kriegt der alles von Störkraft.“

Kaum einer, dem politische Kategorien nicht sowieso ein Greuel wären. Die „Onkelz“ haben's vorgelebt: In Frankfurt gehörten sie zu den Punkbands der ersten Stunde; später, als die verhaßte Frankfurter Spontiszene sich den Punk einverleibte, fingen sie plötzlich an, mörderisch gegen Türken zu hetzen. Und als man's politisch nahm, wollten sie es schon wieder nicht gewesen sein. Sie trennten sich von ihrem alten Label und fühlten sich fortan angemacht von der Welt. In der Vorliebe für die sentimentale Härte der „Onkelz“ trifft sich also womöglich ganz zurecht das politikferne Linksgefühl mit dem Rechtsgefühl und versteht sich. Ingo aus dem Sauerland sagt es so: „Ein bißchen deutsch denken tut doch jeder.“

In diesem milden Gemeinsinn war gut feiern. Da erschöpfte sich alle Gewalt, die vom Jungvolke ausging, im vorschriftsmäßigen Herumwerfen voller Bierbecher. Die „Onkelz“ ihrerseits mühten sich nach Kräften, ihre neue weiße Weste sauber zu halten: Als ein Skin dann doch noch eine Rauferei anfing, unterbrach sofort der Chef-„Onkel“ Stefan Weidner das Konzert, um ihn auszuschimpfen: „Ich hab genug Gewalt gehabt in meinem Leben! Keine Gewalt auf meinen Konzerten! Verpißt euch, ihr Störkraft-Wichser!“

Kann man eindeutiger „gegen Rechts“ sein? All die üblichen Infostände und Plakatausstellungen zum Thema blieben dem Publikum allerdings erspart: Dieses ganze Zubehör wurde von den Konzertveranstaltern, der Brinkumer „Wild Side"- Agentur, wohlweislich ausgelagert. „Aus Sicherheitsgründen“, wie Dagmer Lill vermutet. In einem abgelegenen Kellersaal unterm Kongreßzentrum, wohin sich niemand verlaufen konnte, saßen also den ganzen Nachmittag lang die Initiativen an ihren Ständen; und verdienstreiche Plakate hingen an aufrüttelnden Absperrgittern.

Umso geringer war der Publikumszuspruch, denn der Name der Veranstaltung war auch noch „Mensch?!“ Die Veranstalter versichern aber, daß die 15.000 Mark, die „Mensch?!“ gekostet hat, aus den Erlösen des Konzertes bestritten werden. Manfred Dworschak