■ Skulpturausstellung junger Straftäter in Frankfurt
: Kunst als Knastersatz

Frankfurt (taz) – Zwei handbreite Stahlstangen streben, befestigt an einem schweren Holzsockel, auseinander. An den oberen Enden hängt ein zentimeterdickes Drahtseil, das einem riesigen Beil Halt gibt. Die überdimensionale Axt wippt darauf im Gleichgewicht; sie wirkt wie eine freischwebende Guillotine. Wenige Schritte von ihr entfernt liegt ein Löwe aus Stahlresten. Hunderte aneinandergeschweißte rostige Kettenglieder formen die Mähne. Seine Augen bestehen aus zwei umfunktionierten Kugellagern.

Die beiden Plastiken bilden den Kern einer nicht nur unter künstlerischen Aspekten bemerkswerten Ausstellung im Frankfurter Hauptbahnhofs Sie zeigt noch bis zum Donnerstag dadaistisch anmutende Arbeiten von straffällig gewordenen Jugendlichen.

Entstanden sind die imposanten Exponate in der Bildhauerwerkstatt Gallus. Dahinter verbirgt sich ein Stadtteilprojekt, das von der Stadt Frankfurt und der Deutschen Bundesbahn materiell und finanziell unterstützt wird – jedenfalls noch. Nächstes Jahr droht dem Projekt wegen der drastischen Kürzungen im Frankfurter Kulturetat, dem größten in Deutschland, das Aus. Und weil die Bahn auch sparen muß, will sie sich aus ihrem 20.000-Mark-Sponsoring zurückziehen. Kultur, sagt DB-Pressesprecher Walter Henss, sei Luxus, und den könne man sich heute leider nicht mehr leisten.

Um Kultur allein geht es in dem bundesweit einmaligen Langzeitprojekt der Jugendeinrichtung Falkenheim Gallus aber beileibe nicht. Das Gallusviertel gehört zu den sozialen Brennpunkten der Mainmetropole. Überdurchschnittlich viele Jugendliche hier sind arbeitslos. Entsprechend hoch ist die Kriminalitätsrate unter ihnen. Wegen kleiner und großer Delikte wie Raub, Drogenhandel oder Ladendiebstahl müssen Jugendliche oft gerichtliche Arbeitsauflagen erfüllen. Die Jugendgerichte ahnden so Straftaten, ohne von vornherein den Vollzug einer Gefängnisstrafe aussprechen zu müssen. In Frankfurt haben die Jugendlichen seit August 1992 die Möglichkeit, sie künstlerisch abzuleisten. Die straffällig gewordenen Jugendlichen werden vom Richter gewissermaßen zur Arbeit beim Bildhauer verurteilt.

Friedrich Meihofer, pädagogischer Leiter des Falkenheims Gallus, will seinen Schützlingen über die kreative Beschäftigung mit den Urmaterialien Holz, Stein und Eisen zu der Verarbeitung eigener Ängste und Aggressionen verhelfen. „Es wäre zu banal zu sagen, jeder Schlag in den Stein oder jedes Hämmern und Sägen bedeuten ein Loswerden von Aggressionen, Ängsten. Auf jeden Fall macht die künstlerische Arbeit die Jugendlichen sensibler, weil sie ausdrücken können, was ihnen vielleicht mit Worten schwerfällt“, erklärt Meihofer. Über die Kunst seien die Menschen nun mal zugänglicher. An einem Werk zu arbeiten, bedeute auch ein Stück an sich selbst zu arbeiten.

Der Bildhauer Michael Seibel, der die Gruppe von etwa 20 Jugendlichen honorarfrei fachlich berät, meint, daß Kunst hier wirklich Kunst werde, weil sie eine echte soziale Funktion erfülle. Das manifestiere sich auch im Interesse vieler hastig vorbeiziehender Reisender am Hauptbahnhof, die ein paar Minuten stehen blieben und die Werke betrachteten. „Sie spüren, daß die Kunst ehrlich ist“, sagt er. Auch vor kritischen Augen haben die Werke bestand. Zufällig vorbeigehende Galeristen haben ihr Interesse an den Arbeiten angemeldet. Einer sagt begeistert: „Nicht eine Skulptur offenbart, daß sie von Laien gefertigt wurde. Jede einzelne Plastik wäre würdig, auf der documenta ausgestellt zu werden.“ Gibt es ein besseres Kompliment? Franco Foraci