Arbeiten für Deutschland

■ Eine Dokumentation über die Zwangsarbeit der Nazizeit, um 19.30 Uhr auf arte

„Seine Verbringung zum Arbeitseinsatz erfolgte nicht wegen seiner Zugehörigkeit zu einem fremden Staat oder zu einem nicht- deutschen Volkstum. Sie war vielmehr eine Maßnahme zur Beseitigung des kriegsbedingten Mangels an Arbeitskräften. Die [...] Umstände des Arbeitseinsatzes sind nach eingehender Würdigung auf die allgemeine Verschlechterung der Lebensbedingungen im Verlaufe des Krieges zurückzuführen.“

Was sich beinahe liest wie ein Schriftstück aus dem Dritten Reich, ist ein Ablehnungsbescheid des Bundesverwaltungsamtes in Köln aus dem Jahre 1966. Mit dieser Argumentation, die auf dem Bundesentschädigungsgesetz aus den Jahren 1952/53 fußt, verweigerte die Behörde nicht nur dem Russen Edmund Petraschkowitsch Wiedergutmachung dafür, daß er zu jahrelanger Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden war. Als Vordruck, so sagt der Historiker Ulrich Herbert, diente sie auch in den folgenden Jahrzehnten dazu, Tausenden ehemaliger Zwangsarbeiter eine Entschädigung zu verwehren.

Wolfgang Bergmann setzte das Zitat an das Ende seiner zweiteiligen Filmdokumentation „Der Reichseinsatz“, die der Kulturkanal arte heute und am kommenden Dienstag zeigt. Es verdeutlicht, daß „das größte Projekt von Sklavenarbeit der modernen Geschichte“, so Bergmann, „eine Geschichte ohne Ende“ ist. Rund acht Millionen Ausländer aus ganz Europa hatten die Nazis zur Arbeit in Deutschland gezwungen, vor allem in der Rüstungsindustrie und in der Landwirtschaft. Das waren 30 Prozent der arbeitenden Bevölkerung.

In den Nürnberger Prozessen war die Zwangsarbeit noch als eines der vier großen Kriegsverbrechen bewertet worden. Doch nicht nur die bundesdeutsche Administration verniedlichte das schon wenig später als etwas gleichsam „Normales“. Das Verbrecherische und die Dimension dieser Ungerechtigkeit sind in der deutschen Öffentlichkeit nie bewußt geworden. In dieser Koproduktion von arte, NDR, WDR und zwei Filmfirmen sprechen jetzt Zeitzeugen aus acht Ländern erstmals öffentlich darüber. Und über die Folgen: In ihren Heimatländern wurden die Zwangsarbeiter nach ihrer Rückkehr häufig als Kollaborateure und Verräter angesehen. Beispielsweise in Frankreich, wo man bis heute die Ära der Vichy- Regierung weitgehend verdrängt, die den Nazis mit dem „Service de Travail Obligatoire“ (Dienstverpflichtung) „Freiwillige“ zutrieb. Oder in der ehemaligen Sowjetunion, in der das Thema bis zu Gorbatschows Zeiten tabu war, viele frühere „Ostarbeiter“ diese Zeit aus ihren Lebensläufen tilgten, um der Verfolgung durch Stalin zu entgehen, und die meisten der drei Millionen Überlebenden heute als Rentner vor dem Nichts stehen.

Bergmanns Film, dessen Vorbereitung und Produktion jeweils ein Jahr in Anspruch nahm, ist ein leiser Film. Er stellt aus der Sichtweise der Opfer und der Täter dar, wie sich das System des „Reichseinsatzes“ historisch entwickelte: Anwerbung von Freiwilligen (aus Mussolinis Italien), Verschleppung, rassistische Unterdrückung, Sklavenarbeit. „Ich wollte keinen Film im Stil des subjektiven Betroffenheitsjournalismus machen, sondern mich ganz in den Dienst der Fakten stellen“, sagt Bergmann. Nicht einmal die „Ostarbeiter“, die heute noch leben und damals in der Hierarchie der Zwangsarbeiter ganz unten gestanden hätten, seien wütend. Sie seien versöhnungsbereit, erwarteten aber eine Anerkennung der Schuld Deutschlands und oft eben auch materielle Wiedergutmachung. Dies hat die Kohl-Regierung eben erst wieder gegenüber der Tschechischen Republik abgelehnt. Bergmann soll für seinen Film Ende Oktober mit dem mit 100.000 Mark dotierten Hessischen Filmpreis ausgezeichnet werden. Ulla Küspert

Weitere Termine: 15. und 29.11. auf N 3, 17. und 18.11. beim ORF, 5. und 12.12. auf West 3