Viele kleine Leute, viele kleine Orte

Der Verein „Partnerschaft“ arbeitet im Main-Kinzig-Kreis dafür, „das Gesicht der Welt zu verändern“  ■ Aus Gelnhausen Heide Platen

Die Zeitung Partnerschaft erscheint seit Sommer 1992 monatlich. Die Zeitungsverkäufer im osthessischen Gelnhausen am Rande des Spessart kommen aus Afrika und Asien. Der Umsatz zum Stückpreis von einer Mark, sagen sie, sei gut: „Die Leute sind freundlich und neugierig. Angemacht hat uns noch keiner.“ Das Büro des gleichnamigen Vereins und die Redaktion von Partnerschaft sind in der Zentralen Aufnahmestelle in der ehemaligen Coleman-Kaserne untergebracht. Der Gemeinschaftsraum ist bis auf einige Tische und Stühle noch leer und kahl, „aber das wird schon noch“, sagt Wolfgang Lieberknecht.

Der gelernte Journalist ist immer auf Achse und sprudelt über vor Ideen. Seine Mitstreiter aus Afrika lächeln milde, wenn er schon wieder zum Telefon flitzt, nennen ihn liebevoll „Chef“ und „die Seele vom Geschäft“. Er selbst nimmt sich eigentlich nicht so wichtig. Das ist im Vereinskonzept auch nicht vorgesehen, das Hilfe zur Selbsthilfe, authentische Information über die Fluchtursachen von Asylbewerbern und persönliche Kontakte von Menschen aus aller Welt vorsieht.

Und die sind um den Bürotisch versammelt und formulieren nacheinander und miteinander vehement ihr Credo für eine friedliche Welt. Chamberlain, „bitte nur Chamberlain“, ist Rechtsanwalt und aus Liberia geflohen. Der große, ruhige Mann möchte nicht untätig herumsitzen. Für ihn ist Partnerschaft eine Chance, „Diplomat für mein Land zu sein, denn auf die offiziellen Diplomaten hören die kleinen Leute nicht mehr“: „Die deutsche Bevölkerung hat ein Recht darauf zu erfahren, weshalb wir hier sind und was in unserem Land passiert.“ Er ist geflohen, weil er nicht in den Krieg wollte: „Ich bin Rechtsanwalt und kein Soldat!“ Er versteht, daß es „den Deutschen Angst macht“, wenn so viele junge Männer in den Lagern untätig leben: „Das gibt Probleme, auch untereinander.“ Aber gerade die jungen Männer seien besonders gefährdet, „weil sie von allen Seiten zwangsrekrutiert werden“. Chamberlain: „Damit würden wir nur den Krieg verlängern.“

Nacim Hamadouche aus Algerien ist jung, lebhaft und voller Schwung. Er ist dagegen, die Probleme der Deutschen mit den Flüchtlingen unter den Tisch zu kehren und geht streng ins Gericht. Die Asylbewerber dürften eben nicht, auch nicht aus Not, klauen und „kein Papier auf die Straße werfen“, das sei hier „very, very important“. Freiwillig sei aber keiner von ihnen hier. Gerade seine Generation habe es schwer und wolle am liebsten nach Hause: „Wir sind jung! Wir wissen nicht, was aus unserem Leben wird!“ Er fühle sich immer wie in einem Wartesaal: „Unsere Jugend geht verloren! Was wird aus uns?“ Wenn er gefahrlos hätte bleiben können, sagt er fast zornig, wäre er nicht gekommen, „never, never!“ Und: „Ich will endlich Frieden in der Welt!“ Partnerschaft ist zur Zeit „mein Leben“: „Wenn es das nicht gäbe, dann würden wir hier verblöden.“

Ihm gegenüber sitzt Sunny Collins mit dem sanften Gesicht und der eindringlichen Stimme. „Sunny ist“, sagt Lieberknecht, den die Begeisterung selbst manchmal ein wenig davonträgt, „unser Prediger.“ Der liberianische Angestellte, der „nachts nicht schlafen kann“, hat viel über sich und den Zustand der Welt nachgedacht und versteht die Angst der Deutschen vor den Flüchtlingen. „Wir haben selber Angst erfahren. Vorurteile können nur langsam abgebaut werden.“

Partnerschaft will parteien- und organisationsübergreifend und „ohne Berührungsängste positiv wirken“, nicht „nur immer das Schlechte sehen“. Die Fülle der Aktivitäten in vielen kleinen Orten der Region, getragen von allen gesellschaftlichen Organisationen, Parteien, Wirtschaftsverbänden, Schulen, Kirchen und Kreis- und Gemeindeverwaltungen im Main- Kinzig-Kreis, ist tatsächlich beeindruckend.

Die größte Resonanz fand der Verein bisher mit Veranstaltungen, bei denen sich Betroffene kritischen Fragen stellen und selbst schildern, warum sie ihr Heimatland verlassen haben. Da ist der angolanische Krankenpfleger Lusilavovo Domingus, der im Krankenhaus im benachbarten Bad Orb Nachtwache hält. Er war zwei Jahre lang im Gefängnis, weil er sich aus religiösen Gründen weigerte, Soldat zu sein. Fast seine ganze Familie ist tot oder verschollen. Domingus, der sich intensiv in der freikirchlichen Gemeinde engagiert und dort auch manchmal predigt, würde gerne in seine Heimat zurückkehren. Der Ghanaer Nahr Awahr spricht über Menschenrechtsverletzungen in Ghana, das in der Bundesrepublik als sicheres Herkunftsland gilt. Die Flüchtlinge sind begeistert über die Fragen vor allem der jüngeren Kinder.

Professor Kum'a Ndumbe III. berichtete als Gast aus Kamerun. Er stammt aus einer Königsfamilie der Duala. Sein Großonkel hatte 1884 den Vertrag mit der deutschen Kolonialmacht unterzeichnet, sein Großvater kämpfte dagegen. Der Politikwissenschaftler, der selbst unter Repressionen zu leiden hat, leitet ein Zentrum, in dem eigene Entwicklungshilfeprojekte erdacht werden, internationale Zeitungen und Bücher ausliegen und eine Jugendzeitung entstehen soll.

Der Bezirk und die Stadt Istra, 60 Kilometer westlich von Moskau, sind inzwischen im Main-Kinzig-Kreis beliebter als manches südliche Reiseziel. Den Hilfstransporten mit Lebensmitteln und Medikamenten folgte ein reger Austausch. Musikgruppen, Ballett und Folkloreensembles aus Istra kamen nach Hessen. Ein Blasorchester des Sportvereins TV Bad Orb reiste nach Istra. Es vermeldete „Riesenstimmung“, und, so Dirigent Elmar Egold: „Ein russisches fis klingt nun einmal genauso wie ein deutsches fis.“ Eine russische Ärztin absolvierte ein Praktikum in der Bad Orber Spessartklinik, eine deutsche Medizinstudentin arbeitete als Schwester im Istraer Krankenhaus. Es entstanden erste Freundschaften. Auch hier arbeiten zahlreiche Gruppen und Einzelpersonen inzwischen zusammen, die in Partnerschaft zu Wort kommen und über die Zeitung Kontakte knüpfen können.

Juliana sitzt erwartungsvoll im Partnerschaft-Büro. Sie kommt gerade aus Litauen und sucht für ihr Land Kontakte in der Bundesrepublik. Sie ist auf Anraten eines Kreisbeamten hierhergekommen. Konkrete Hilfe kann Wolfgang Lieberknecht ihr nicht versprechen, aber er macht Mut und gibt Tips. Auch die Beziehungen zum Bezirk Istra hätten mit kleinen Einzelinitiativen angefangen. Am wichtigsten sei es, daß „die Menschen sich kennenlernen, daß sie sich gegenseitig besuchen“, keine offiziellen Delegationen mit Hotelzimmer, sondern die „kleinen Leute“: „Es ist ganz wichtig, Plätze in Familien anzubieten.“ Auch landschaftlich schöne Zeltplätze, der Austausch von Kultur, Musikern und Chören seien ein Anfang für das Knüpfen auch wirtschaftlicher Beziehungen. Erstmals haben in diesem Jahr russische Unternehmen auf einer regionalen Messe im Main-Kinzig-Kreis ausgestellt.

Unversehens kommt er ins Schwärmen. In Rußland soll langfristig ein „Welt-Partnerschafts- Zentrum“ entstehen, Angelpunkt einer „Weltbürger-Bewegung“. Juliana läßt sich mitreißen, nickt und ist schon als neue Ansprechpartnerin in Litauen gewonnen.

Lieberknecht ist überzeugt: „Manchmal muß man auch verrückte Sachen machen.“ Da ist zum Beispiel Erich Caspar, das stadtbekannte Original mit der Quetschkommode. Der ehemalige Wehrmachtssoldat spielt auf den Marktplätzen und sammelte in drei Wochen 4.300 Mark für das künftige Zentrum. Seinen größten Auftritt hatte er jüngst in Moskau auf dem Roten Platz. Dort spielte er zusammen mit einem russischen Musiker. Er empfindet diesen Auftritt als persönliche Wiedergutmachung an den einstigen Feinden. Damit konnte er dann sogar im Fernsehen für Partnerschaft werben. Der alte Mann rief, sichtlich bewegt, zum „Frieden in der ganzen Welt“ auf. Daß die Zeiten nicht so sind, weiß Lieberknecht. Auch in Gelnhausen gibt es Neonazis, die NPD sitzt im Parlament. Bisher habe es aber, bis auf einen Brandanschlag, keine größeren Übergriffe gegeben: „Wir wollen denen nicht das Feld überlassen.“ Er verweist auf das Motto des Vereins: „Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern.“

Dazu gehörte im vergangenen Jahr auch eine kontrovers diskutierte Aktion. Deutsche und Asylbewerber aus der Coleman-Kaserne trafen sich einige Wochen lang zum gemeinsamen Hausputz am Gelnhausener Bahnhof. Sie reinigten mit großen Besen die verdreckte Unterführung und aßen, sangen und spielten hinterher bei einem gemeinsamen Abendessen. KritikerInnen meinten, es ginge nicht an, daß den Flüchtlingen „die schlimmsten Arbeiten zugemutet werden“, daß das die Vorstufe zur Zwangsarbeit sei. Initiatorin Olga von Lilienfeld gab ihnen teilweise recht und forderte ihrerseits mehr freiwilliges Engagement in den Gemeinden, besseren öffentlichen Nahverkehr und Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten für die Flüchtlinge. „Das war“, sagt Wolfgang Lieberknecht, „eine mehr symbolische Aktion, die zeigen sollte, daß Flüchtlinge nicht passiv abwarten, sondern selbst Verantwortung übernehmen wollen – hier und, noch lieber, in ihren eigenen Ländern.“

Nacim hat inzwischen eine Musikgruppe mit armenischen Kindern aufgebaut. Sie treten bei Festen auf, singen Lieder aus ihrer Heimat und „We shall overcome“ ebenso wie ein Lied, das er selbst geschrieben hat und das sich gegen Fundamentalismus, Krieg und Zerstörung in der ganzen Welt richtet. Das „One-World-Team“ kickt sich durch die Region. Beim ersten Spiel mit vom Landrat gestiftetem Fußball gewann die Mannschaft der Kreisverwaltung 5:2, allerdings, merkt Lieberknecht an, waren deren Reihen mit Asylbewerbern „aufgestockt“.

Der gemeinnützige Verein lebt bisher von Spenden, Mitgliedsbeiträgen und dem Erlös aus dem Zeitungsverkauf. Informationsmaterial kann bei Partnerschaft, 63571 Gelnhausen, Postfach 1657, Tel.: 06051/18572 angefordert werden. Das Förderabonnement kostet 50 Mark im Jahr. Er möchte außerdem Kontakt mit interessierten Menschen aus anderen Orten aufnehmen.