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Hat Thyssen die Treuhand betrogen?

Im Fall der Abwicklung der DDR-Metallurgiehandel GmbH versucht die Treuhand, einen zweistelligen Millionenbetrag zurückzubekommen / Breuel enttäuscht über Staatsanwälte  ■ Aus Berlin Donata Riedel

Birgit Breuel ist „es leid, immer wieder gegen Pauschalisierungen und globale Verdächtigungen angehen zu müssen“. Die Präsidentin der Treuhandanstalt wehrte sich gestern vehement gegen „Vorverurteilungen“ seitens der Presse, die aus „Tatsachen und Wertungen in unerträglicher Weise zusammengemischt“ würden. Sie bezog sich damit auf den Fall Thyssen, von dem seit vergangenem Donnerstag immer neue Bruchstücke bekanntwerden (taz 16.10.). Manager der profitabelsten Konzerntochter Thyssen Handelsunion sollen bei der Abwicklung des ehemaligen DDR-Außenhandelsbetriebes Metallurgiehandel (MH) Millionenbeträge verschoben haben – zu Thyssens Gunsten und zu Lasten der Treuhandanstalt.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Chefetagen der Thyssen-Tochter und der MH sowie den damaligen Treuhanddirektor Hans Lennertz wegen Untreue. Am Donnerstag beschlagnahmte sie 130 Akten an 34 Orten – darunter angeblich auch bei Handelsunion-Chef Dieter Vogel.

Bereits am Freitag reagierte die Anstalt für die Privatisierung der ostdeutschen Industrie ausgesprochen empfindlich auf erste Presseberichte, in denen Lennertz der Kompetenzübertretung bezichtigt wurde. Treuhandsprecher Wolf Schöde äußerte sich „entsetzt“ über die „Schieflage“ der Berichterstattung. Die Treuhand habe „keine Anhaltspunkte für eine Überschreitung von Kompetenzen“ seitens eines Treuhandmitarbeiters, beteuerte Schöde.

Damit bezieht sich Schöde auf den Stand der treuhandinternen Prüfungen des Vertrages mit der Handelsunion. Das jedoch bedeutet nicht, daß innerhalb der Berliner Anstalt der inzwischen gekündigte Vertrag heute nicht umstritten wäre. Seit Monaten jedenfalls gibt es Verhandlungen zwischen der Treuhand und Thyssen über die Menge Geldes, die an Thyssen geflossen ist; die Treuhand hätte dabei ganz gerne einen zweistelligen Millionenbetrag zurück. Um die „eigene Verhandlungsposition gegenüber Thyssen zu stärken“, so Schöde gestern gegenüber der taz, wurde der Vertrag bereits vor einem Jahr von der internen Revisionsabteilung einer gründlichen Prüfung unterzogen.

Die Revisionsabteilung lieferte der Treuhandspitze in ihrem Bericht vom 8. Dezember 1992 verschiedene Ansatzpunkte, an denen der Vertrag möglicherweise nachzubessern wäre. Treuhand-Verhandlungsführer Lennertz hätte den Vertrag vom 21. Dezember 1990 genehmigen lassen müssen – vom Treuhand-Verwaltungsrat und vom Bundesfinanzministerium. Diese Genehmigungen lägen aber schriftlich nicht vor. Wie Schöde gestern nachtrug, habe sich Lennertz aber die Genehmigungen mündlich geben lassen.

Die Treuhand-Prüfer kritisieren außerdem, daß ihnen die Vergütung in Höhe von 25 Prozent des MH-Gewinns (mindestens aber 5 Millionen DM), welche die Thyssen-Tochter für die Auflösung der MH bekam, als „relativ hoch erscheine“. Außerdem konstatierten sie einen Interessenskonflikt, dem die Thyssen Handelsunion ausgesetzt war. Die MH war nämlich diejenige der 46 DDR-Außenhandelsgesellschaften, die den gesamten Stahlhandel der DDR besorgte – mehrere tausend Bartergeschäfte waren noch offen – unter anderem auch mit Thyssen-Gesellschaften.

Bedenklich fanden die Treuhandprüfer auch die Tatsache, daß die Thyssen-Handelsunion für die DM-Eröffnungsbilanz der MH und die folgenden Bilanzen zuständig wurde – und damit die Basis für die Berechnung der eigenen Gewinnbeteiligung legen konnte. Für das Jahr 1990 errechneten die Thyssen-Leute noch einen bilanziellen Verlust von 188,9 Millionen Mark, der von der Treuhand auszugleichen war. 1991 dann, als – ab 3. April 1991 – der Vertrag wirksam wurde, machte die MH 245 Millionen Mark Gewinn, von der die Thyssen Handelsunion knapp 62 Millionen DM erhielt.

Die Treuhand verhandelt nun mit Thyssen unter anderem darüber, ob es in Ordnung war, daß die Handelsunion im Jahr 1991 diverse Rückstellungen, die beispielsweise für die Kosten von Vertragsauflösungen vorgesehen waren, einfach auflösen und als vorhandene Geldmittel auf der Habenseite buchen durften. Dabei geht es laut Schöde um den erwähnten zweistelligen Millionenbetrag.

Den internen Prüfbericht hat die Treuhand auch der Staatsanwaltschaft zugeleitet. Diese ermittelt offenbar weiter gegen Lennertz. Die Arbeitweise der Staatsanwälte ist für Treuhandchefin Breuel genau wie die der Presse offenbar ein Ärgernis. Dort erhalte die Treuhand nur die Auskunft, daß mangels Personal auf absehbare Zeit mit einer ordnungsgemäßen Bearbeitung nicht zu rechnen sei, sagte Breuel gestern. Derweil darf die Öffentlichkeit weiter rätseln: Hat sich die Treuhand von Thyssen über den Tisch ziehen lassen? Hat Thyssen die Treuhand betrogen und die MH ausgenommen? und: Welche Personen sind strafrechtlich zu belangen?

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