„Jeder Steuerbescheid anfechtbar“

■ Gewerkschaft der Finanzverwalter meldet Landunter / Bremer Steuerapparat schrumpft

Erstaunliche Details aus dem Bauch der Finanzämter wurden gestern aus berufenem Munde öffentlich: „Mut zur Lücke“ müßten Finanzbeamte bei der Bearbeitung von Steueranträgen beweisen, „jeder Steuerbescheid ist zu Recht anfechtbar“, erklärte der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft (DStG), Erhard Geyer. „Wir holen uns von der Sparkasse jedes Jahr das neue Steuerhandbuch, sonst hätten wir gar kein Arbeitsmaterial“, klagt die Frauenbeauftragte des Landesverbandes Bremen der DStG, Gabriele Dreyer, über den Wust von neuen Steuergesetzen. „Steuerchaos“ und „unkontrollierte Hektik“ herrschten in den Finanzämtern: „Die Finanzverwaltung arbeitet am Rande der Verfassungskonformität.“ (Geyer).

Solche harten Worte fielen gestern zur Eröffnung des Bremer Gewerkschaftstages der DStG. Die Gewerkschaft, die nach eigenen Angaben bundesweit rund Zweidrittel des Personals in den Finanzverwaltungen vertritt, machte ihrem Frust in Bremen Luft: Die Behörde sei im Bundesvergleich schon immer unterbesetzt gewesen, jetzt werde sie im Zuge der Sparquoten für das Sanierungsprogramm auch noch über Gebühr geschröpft: Im Bundesvergleich sei der Personalbestand zwischen 1980 und 1990 stagniert, in Bremen habe er um 10 Prozent abgenommen, in der Steuerverwaltung gar um 19 Prozent. Dazu kämen: Steigende Bevölkerungszahlen, mehr Einzelhaushalte, mehr Lebensgemeinschaften: Und das bedeutet mehr Steueranträge.

Zwischen 1985 und 1990 sei die Zahl der Steuerfälle um rund 20% gestiegen, die Zahl der Betriebsprüfungen habe dagegen abgenommen. Kleinbetriebe würden statistisch nur noch alle 30 Jahre geprüft, „und das sind die ergiebigen Fälle“, erzählt der Bremer Landesvorsitzende der DStG, Willy Hollatz. 1992 seien bundesweit rund 362 Mrd. Mark am Finanzamt vorbei geflossen, das entspricht einem Steuerverlust von 120 Mrd. Mark. Auf Bremen entfallen davon 0,8 bis 1%, also rund eine Milliarde Mark.

„Der Kardinalfehler ist“, meint Geyer, „daß die Länder durch den Länderfinanzausgleich nicht gezwungen werden, ihre Steuerquote voll auszuschöpfen.“ Die Geberländer müßten mehr in den Topf einzahlen, wenn sie noch mehr Steuern kassierten, die Nehmerländer bekämen weniger aus dem Finanzausgleich, wenn sie mehr Steuern einnehmen.

„Man müßte im Länderfinanzausgleich einen Sockelbetrag festlegen und die Länder an den Mehreinnahmen beteiligen“, fordert Geyer, und die Steuerabteilungen entsprechend verstärken. Eine gestärkte Finanzverwaltung könne dann auch die Sanierung Bremens umsetzen helfen, erklärt Hollatz weiter: „Die Ansiedlung von Gewerbe ist kein Allheilmittel zur Sanierung, wenn sie nicht gleichzeitig auch steuerlich ausgeschöpft wird.“

Finanzsenator Volker Kröning (SPD) als Gast des Gewerkschaftstages blieb auf dem Boden des Sanierungsprogramms und kündigte die „Mobilisierung der Binnenreserven“ an. Dazu gehört: Kontinuierliche Ausbildung und Einstellung von Steuerfachkräften, die Attraktivierung des Berufs (u.a. sollen Berufsanfänger künftig mit der Gehaltsgruppe A 7 eingestuft werden) und der Arbeitsvereinfachung durch Automation.

Trost für die Steuergewerkschafter: Ab 1994 ist erst einmal Schluß mit den Stellenkürzungen. Ein Privilig, das nur noch der Polizei eingeräumt wird. Allerdings kündigte Kröning auch schon mal an: „Wir sind mit dem Personalentwicklungsplan noch nicht am Ende.“ mad