Schöngeistige Cellospieler

■ „Fiorile“, der neue Film der Brüder Taviani

Das Leben scheint weder verschnörkelt noch geradlinig. Es windet sich auch nicht. Es kreist, um immer wieder Geschichte(n) einzuholen. Paolo und Vittorio Taviani haben die Erbsünde und den Realismus à la Marquéz im Gepäck und bebildern eine Legende, die sich zugetragen haben soll. Vom Wiederholungszwang Vergangenheit und vom unendlich menschlichen Ringen gegen materielle Zwänge will „Fiorile“ erzählen – und ertrinkt dabei zwischen den Bilderfluten einer rund 200 Jahre währenden Einsamkeit um die Familie Benedetti.

Luigi Benedetti aus der Generation der Funktelefone rekapituliert für seine Kinder. Damals, 1802, während der napoleonischen Kriege in der Toskana. Leutnant Jean will die Ideen der Französischen Revolution unters italienische Volk bringen und stirbt doch nur für eine Truhe mit Goldstücken. Jäh entflammt die Liebe zwischen Jean und Elisabetta Benedetti, unvermittelt sinken die Begehrenden am Flußufer nieder, Elisabettas Bruder aber stiehlt den Goldschatz, auf den Jean nunmehr kein Auge wirft. Für Fehltritte bezahlen alle – Jean wird exekutiert, Elisabetta stirbt im Kindbett, die Benedettis sind plötzlich reich, aber verflucht. Gold stinkt, sagt der Volksmund und nennt die Familie fortan Maledetti.

Daran wird sich generationenlang nichts ändern. Obwohl die Verfluchten immer auch die Besonderen sind. Durch zwei Jahrhunderte exemplifizieren die Tavianis den Fluch und seine oftmals tödlichen Wirkungen: um 1900 an Elisa Benedetti und ihren Brüdern, rund vierzig Jahre später an Massimo, dem sensiblen, schöngeistigen Cellospieler, der zudem unter dem Faschismus leidet. Am Ende wird die Geschichte auch die jüngsten Benedettis einkreisen – obwohl Flüche eigentlich außer Mode scheinen. „Fiorile“ hätte großes, schweres Kino werden können. Menschen, die leiden, aus Liebe töten, dem Wahnsinn verfallen, der Vergangenheit nicht entkommen – von Abgründen zu erzählen erfordert jedoch nicht selten Zurückhaltung. Ein Achselzucken, damit das Schicksal abrollen kann. „Fiorile“ ist über weite Strecken überinszeniert – nicht nur weil die Gespenster der Vergangenheit personifiziert durchs Bild huschen müssen. Satte Landschaftsaufnahmen, genüßliche Schwenks, Kamerafahrten durch prunkvolle Räume, Nahaufnahmen von ebenmäßigen Gesichtern – die Bilder wollen beeindrucken, und sie schaffen es. Und doch wird man mißtrauisch, wenn Frauen sich, farblich abgestimmt, verzweifelt auf Teppichen wälzen und der rotbraune Giftpilz aufdringlich zum rotbraunen Kleid paßt. Dabei möchte man es gut meinen mit den Tavianis und die vagen Zeichen zwischen den Zeilen zur Parabel aufblähen. Sollte „Fiorile“ womöglich auf Korruptions-Italien verweisen? „Jean ist tot“, erklärt Massimo seinen Enkeln. Ist mit Jean die Utopie von Freiheit und Brüderlichkeit gestorben?, fragt man sich und versucht an den Haaren herbeizuziehen, was Taviani- Filme ausmachte: kritische Tiefen jenseits der opulenten Bilder. So bleiben schlußendlich schlichte Erkenntnisse – daß Geld und Liebe inkompatibel sind, Reichtum allein nicht glücklich macht und daß es im Leben eben ist wie mit einem Wiederholungszwang. Michaela Lechner

„Fiorile“. Regie: Paolo und Vittorio Taviani. Mit: Claudio Bigagli, Galatea Ranzi, Michael Vartan. Italien/Frankreich/Deutschland 1992, 118 Minuten, Farbe.