Geiseln im Energiepoker

Der heimischen Kohle soll es an den Kragen gehen / Koalition spielt Milliarden- subventionen gegen SPD-Atomausstiegsbeschluß aus  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) – Der einzige Mitspieler, der zur Zeit einigermaßen frohgemut das politische Ränkespiel um die Zukunft der deutschen Steinkohle betrachten kann, ist die Stromwirtschaft. Schon bei der Fortschreibung des Jahrhundertvertrages Ende 1991 unter der Leitung des damaligen Wirtschaftsministers Jürgen Möllemann setzten deren Vertreter durch, daß sie ab 1996 die jährliche Verstromungsmenge von 35 Millionen Tonnen heimischer Kohle zu Weltmarktpreisen erhalten. Und nicht nur das: Auch ihre Beteiligung von jährlich 2,5 Milliarden Mark an den Milliardensubventionen für den Steinkohlebergbau soll auf null schrumpfen.

In den vergangenen zwei Jahren haben die Strombosse ihre komfortable Position sogar noch ausgebaut. In den neuen Ländern (Rostock) und in Niedersachsen (Wilhelmshafen) werden neue Kohlekraftwerke gebaut, in denen die Betreiber ganz selbstverständliche die billigere Importkohle verfeuern dürfen. Der Branchenprimus RWE hat zudem zwei Kohlekonzerne in den USA angelandet, die dort gemeinsam 65 Millionen Tonnen Kohle fördern – mehr als der Ruhrkohle hierzulande künftig zugestanden wird. Die US-Tochter Consol etwa produziert Kohle für 40 Dollar die Tonne, die Produktionskosten der Ruhrkohle liegen dagegen bei rund 280 Mark.

Dietmar Kuhnt, im RWE-Vorstand für den Energiebereich zuständig, brachte es schon vor Monaten auf den Punkt: Kohlekraftwerke auf der Basis von Importkohle würden die Wettbewerbsfähigkeit des Konzerns und der deutschen Volkswirtschaft sichern. Schon 1992 wurden in der Bundesrepublik über 15 Millionen Tonnen Kohle importiert, zumeist aus Südafrika und Tschechien.

Während die Strommanager ruhig schlafen können, müssen die Kohle-Kumpel an der Ruhr um ihre Arbeitsplätze bangen. Die Kohle-Subventionen sind nur bis 1995 gesichert, und Möllemann- Nachfolger Günter Rexrodt fühlt sich an die Zusage der Kohle- Runde nicht mehr gebunden: Er will die festgelegte Verstromungsmenge bis 2005 von 35 auf 20 Millionen Tonnen reduzieren, da man sich die Subventionen für eine solche Menge nicht mehr leisten könne. Schon die Fortschreibung des Jahrhundertvertrages sah den Abbau von fast 30 Prozent der derzeitigen Ruhrkohlekapazitäten und rund 40.000 der gut 120.000 Arbeitsplätze bis zu Jahrtausendwende vor. Statt der jährlich 70 Millionen sollten nur noch 50 Millionen Tonnen Steinkohle in deutschen Bergwerken gefördert werden.

Durch die Rezession kam es für den Kohlebergbau noch dicker: Die Nachfrage nach Kohle und Kokskohle, vor allem in der Stahlindustrie, ging rapide zurück. Die Halden wachsen auf neue Rekordhöhen, statt der für dieses Jahr geplanten 19 Millionen Tonnen können die Zechen wahrscheinlich nur 15 Millionen Tonnen verkaufen. Die Förderung lag im ersten Halbjahr 1993 um 12,6 Prozent unter der des Vorjahres – der stärkste Rückgang seit 20 Jahren, so Adolf Spies von Büllesheim, Vorstand des Gesamtverbandes des deutschen Steinkohlebergbaus.

Auch die von der Stahlkrise arg gebeutelten Konzerne Thyssen, Krupp/Hoesch und Klöckner versuchen sich noch weiter um den Einsatz der teuren deutschen Steinkohle herumzudrücken – und das mit wachsendem Erfolg. Der Klöckner-Stahlkonzern zum Beispiel darf nach einem Schiedsgerichtsspruch künftig 30 Prozent seiner Kohle auf dem Importmarkt kaufen; bei Thyssen und Krupp/ Hoesch wird nach Wegen gesucht, ebenfalls den heimischen Kohleanteil zu verringern. Derweil wächst der Weltmarkt für Kokskohle rapide – ein Produkt, daß es vor zehn Jahren auf dem Weltmarkt so gut wie nicht zu kaufen gab.

Betriebswirtschaftlich gesehen ist das Interesse der Stahlkocher nur zu verständlich. Die Importkohle kann an westeuropäischen Häfen schon für 70 bis 80 Mark abgeholt werden. Die Ruhrkohle AG hat in ihrer Not inzwischen sogar angeboten, mit den Importpreisen gleichzuziehen – wer aber die dabei entstehenden Verluste tragen soll, ist noch nicht bekannt. Auch volkswirtschaftlich sind die Kohlesubventionen denkbar unsinnig: Jeder Ruhrkohle-Arbeitsplatz wird jährlich mit 100.000 Mark subventioniert – weit mehr, als die Kumpel verdienen. Rund zehn Milliarden Mark kostet das Auslaufmodell Bergbau den Staat und Steuerzahler im Jahr.

Von den Arbeitsplatzverlusten politisch besonders getroffen sind die Revierländer Nordrhein-Westfalen und das Saarland. Dort sollten 40.000 Kohle-Arbeitsplätze bis zur Jahrtausendwende abgebaut werden, dort geht der Arbeitsplatzverlust jetzt noch wesentlich schneller. Die Lage scheint fatal: Jeder Versuch, etwa die Stahlkonzerne zu zwingen, mehr heimische Kohle abzunehmen, dürfte in dieser Krisenbranche zu weiteren Arbeitsplatzverlusten führen.

Doch immer mehr Arbeitsplätze immer schneller abzubauen, ist im Revier ein Spiel mit dem Feuer. Der CDU-Politiker Rainer Barzel mußte schon vor knapp 20 Jahren die Erfahrung machen: „Wenn es an der Ruhr brennt, reicht alles Wasser des Rheins zum Löschen nicht.“

Nicht zuletzt deshalb bewegen sich die Regierenden an Ruhr und Saar genau wie die Bonner Koalition vorsichtig. Die Liberalen wollen die Kohlesubventionen den kleinen Konsumenten, nicht aber länger der Industrie aufbürden. Die Union verknüpft zwar verbal eine subventionsfreundlichere Kohlepolitik mit Zugeständnissen der SPD in der Atomfrage. Aber bei harten Schnitten würde sich auch die Union schwer tun. Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) fühlt sich zwar gemeinhin nur für die Förderung der Atomkraft zuständig, er ist aber auch Landesvorsitzender der CDU im Saarland und hat dort im kommenden Jahr einen Wahlkampf zu überstehen. Kabinettskollege Norbert Blüm ist nicht nur als Arbeitsminister an den Jobs interessiert, er ist auch CDU-Landesvorsitzender am Rhein und hat seinen Wahlkreis in Dortmund. Dort kassierte er schon bei der letzten Bundestagswahl nur 32 Prozent. So ist es nicht verwunderlich, daß beide Minister vor jedem Gefummel an den Kohlequoten warnen – schließlich wollen sie bei den nächsten Wahlen nicht im 20-Prozent-Turm landen.

Trotzdem kultiviert die SPD die Mär vom ungeheuren Druck, den die Bundesregierung ausübe. Für die Sozialdemokraten ist klar: Die Union versucht die Ruhrkohle als Geisel zu mißbrauchen, um bei den Energiekonsens-Gesprächen eine weitere Nutzung der Atomenergie offenzuhalten. Die SPD verspricht sich Hilfe von den kampfbereiten Kumpel, die sich angesichts der Krise und des drohenden Arbeitsplatzabbaus von der Politik verladen fühlen. Und im Energiekonsenspoker hinter den Kulissen soll schon mal vorab für ein Abweichen von der Beschlußlage zum Ausstieg aus der Atomenergie und weitere Zugeständnisse um Verständnis geworben werden.