piwik no script img

In die Falle getappt

Die kurdische Arbeiterpartei PKK will mit dem Zeitungsverbot den „Kolonialkrieg der Medien“ stoppen. Doch die Guerilleros tun sich keinen Gefallen: Bald werden nur noch regierungsamtliche Nachrichten über Kurdistan verbreitet.

Nach den Drohungen der kurdischen Arbeiterpartei PKK ist der Zeitungsvertrieb in Türkisch-Kurdistan zum Erliegen gekommen. Nur noch auf Polizeiwachen werden Zeitungen verkauft. In der Millionenstadt Diyarbakir, der heimlichen Hauptstadt Türkisch- Kurdistans, haben alle 72 Zeitungskioske geschlossen. Das Gebiet wird ohnehin nicht mehr beliefert.

Die Grossisten haben aus Sicherheitsgründen die Belieferung der Region eingestellt. Die kurdische PKK-Guerilla hat es geschafft, daß keine Tageszeitungen und Zeitschriften mehr erscheinen. Und die meisten Journalisten in dem Gebiet haben, die Todesangst im Nacken, ihre Arbeit fürs erste eingestellt. „Wer arbeitet, wird bestraft. Auch ihre Familien werden zur Zielscheibe“, hatte der Regionalkommandant der „Volksbefreiungsfront Kurdistans“, Cekdar, bereits am Freitag den Bürochefs der großen Tageszeitungen und Agenturen mitgeteilt. Die hatte er aus Diyarbakir in ein Guerillakamp entführen lassen, um dort eine Pressekonferenz abzuhalten.

Das Verbot betrifft auch Korrespondenten ausländischer Medien. Die PKK wirft den Medien vor, „dem Kolonialkrieg des türkischen Staates propagandistisch zu helfen“. Die Ausnahmerechtsverwaltung ließ vor den Redaktionsbüros von Tageszeitungen Sicherheitskräfte mit Kalaschnikows „zum Schutz der Presse“ postieren. Was überflüssig war, denn die meisten Journalisten sind im Urlaub.

Die türkischen Politiker versuchen, die Lage runterzuspielen. „Das Zeitungsverbot ist einer der Versuche der Terroristen, die Türkei zu beunruhigen. Der Staat wird die Journalisten schützen“, sagte der türkische Staatspräsident Süleyman Demirel. Auf die Diskussion um die Ausrufung des Kriegsrechts in den kurdischen Provinzen angesprochen, erwiderte Demirel, „zur Zeit“ sei eine solche Maßnahme nicht notwendig. Auch der Staatsminister und Regierungssprecher Yildirim Aktuna gab sich gelassen, da schließlich auch beim Einmarsch des Irak in den Kuwait Journalisten darüber berichtet hätten: „Man darf dieses Ereignis nicht hochspielen.“ Die Tageszeitung Cumhuriyet spottete gestern in ihrem Leitartikel: „Schließlich haben unsere werten Minister angefangen, die Situation in der Türkei mit dem Irak und mit Somalia zu vergleichen.“ In den kurdischen Regionen gehe ohnehin jeder davon aus, daß die PKK jeden in die Guerilla einbeziehe, Steuern erhebe und auf den Landstraßen Ausweiskontrollen durchführe. Hinzu komme nun das Medienverbot.

Der Vorsitzende des türkischen Presserates und Kolumnist der Tageszeitung Hürriyet macht sich über den türkischen Innenminister Mehmet Gazioglu lustig. Er kritisierte die Journalisten, die am Freitag ins PKK-Lager entführt worden waren, da sie nicht bei der Polizei angerufen hätten. Angesichts der Dutzenden unaufgeklärten Morde an Journalisten in der Türkei habe man keinen Grund, dem Versprechen des Innenministers, er werde Journalisten schützen, Glauben zu schenken.

Die linke türkische Tageszeitung Aydinlik schreibt, die PKK sei in die Falle getappt, die der türkische Staat gestellt habe. Seit dem Frühjahr wird Aydinlik nicht mehr in den kurdischen Provinzen vertrieben. „Die Polizei und die Hisbollah haben Angriffe auf Vertriebs-LKWs gestartet und Kiosken gedroht. Es folgten Bombenattentate mit Verletzten und Toten. Schließlich hat der Grossist den Vertrieb eingestellt.“ In der Aydinlik findet sich ein Artikel des Bürochefs von Diyarbakir Yilmaz Odabasi: „Wir haben objektiven Journalismus versucht. Wir haben über Menschenrechtsverletzungen und den staatlichen Terror berichtet.“ Odabasi, Autor von zehn Büchern zu Kurdistan, der in politischen Prozessen Angeklagter war und mehrfach von der Polizei gefoltert wurde, ist nun einer derjenigen, die von der PKK zur Zielscheibe erklärt wurden. Aydinlik ist der PKK auch deshalb ein Dorn im Auge, weil sie darüber berichtete, wie PKK-Guerilleros vor zwei Wochen in der Provinz Tunceli sechs Anhänger der Guerillaorganisation TDKP töteten. – Das Presseverbot der PKK ist offensichtlich auch Reaktion auf den staatlichen Terror gegen die Istanbuler Tageszeitung Özgür Gündem, die der PKK nahesteht. Die Zeitung wird fast täglich beschlagnahmt und von einer Prozeßlawine überrollt. Journalisten und Mitarbeiter von Özgür Gündem wurden ermordet. Zuletzt wurde der Kioskbesitzer Adil Baskan erschossen, der bedroht wurde, weil er Özgür Gündem verkauft hatte. Am gleichen Tag wurde der 16jährige Recep Demirtas, der in Diyarbakir die Zeitung Gündem verkaufte, nach einem bewaffneten Überfall schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. PKK-nahe Kreise, wie die legale „Partei der Demokratie“, versuchen das Medienverbot zu rechtfertigen. In einer Stellungnahme des Stadtverbandes Diyarbakir, die gestern in Gündem veröffentlicht wurde, heißt es: „Die chauvinistischen Veröffentlichungen der Presse bringen den Völkern Blut, Tränen und Zerstörung. Beinahe sind sie zu Unterstützern der Angriffe gegen ihre Kollegen geworden. Sie hätten wissen müssen, daß die Gegengewalt sich eines Tages gegen sie richten wird. Dies ist die Logik des Krieges.“

Die türkische Presse, ohnehin vom türkischen Staat verfolgt, wenn die Kurdistan-Berichterstattung nicht der staatlichen Propagandalinie entspricht, ist nun Opfer der PKK. Die wird das Medienverbot als Erfolg verbuchen, weil dadurch ihre Stärke und ihr Durchsetzungsvermögen in der Region zum Vorschein kommen. Langfristig wird sich der Schlag der PKK gegen die Presse als Bumerang erweisen und eine Situation schaffen, in der nicht mehr über den Krieg in Türkisch-Kurdistan berichtet wird. Amtliche türkische Regierungserklärungen und Presseerklärungen der PKK könnten dann bald zur einzigen „Informationsquelle“ werden. Ömer Erzeren, Istanbul

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen