Drei Atomkraftwerke steigen aus

■ Brunsbüttel, Krümmel, Stade in der Midlife-Crisis / Strom soll teurer werden     Von Marco Carini

Advent, Advent, kein Lichtlein brennt. Dazu könnte es nach Meinung der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) kommen, weil sich ein Atomreaktor nach dem nächsten aus dem Betrieb verabschiedet. Seit Monaten werden Brunsbüttel und Krümmel vom Kieler Umweltministerium Auszeiten gegönnt, da Risse in den Kraftwerksrohren gefunden wurden. Am Freitag geht Stade planmäßig zur Revision vom Netz – vielleicht für immer.

Denn nach den Informationen der gewöhnlich gut unterrichteten Kreise warnt ein im Auftrag des niedersächsischen Umweltministeriums erstelltes, noch geheimes Gutachten der „Gruppe Ökolgie“: Der Reaktordruckbehälter ist versprödet und würde einem Störfall mit angelaufener Notkühlung möglicherweise nicht standhalten. Ein Super-GAU wäre dann nicht mehr zu verhindern. Der Atomexperte der Niedersachsen-Grünen, Hannes Kempmann: „Eine mangelne Sprödbruch-Sicherheit ist durch technische Nachrüstung nicht zu beheben – da hilft nur abschalten“.

Zwar wird das Gutachten erst am 30. November der niedersächsischen Landesregierung offiziell übergeben, doch eine Sprecherin des dortigen Umweltministeriums kommentiert schon heute: „Wenn gravierende Mängel nachgewiesen werden, müssen wir sofort handeln“. Für die rechtlich wasserdichte Stillegung des Reaktors müsse allerdings detailliert nachgewiesen werde, daß eine Gefährdung von ihm ausgehe – sonst drohen Niedersachsen Schadenersatzklagen in Millionenhöhe. Denn Stade-Betreiberin PreussenElektra wiegelt erwartungsgemäß ab: Die Sicherheit des Atommeilers sei durch zahlreiche TÜV-Gutachten belegt, eine Stillegung des Reaktors reine „Spekulation“.

Als reine Spekulationen, rechtzeitig zum rot-grünen Ausstiegs-Koalitionspoker in die Öffentlichkeit gestreut, entpuppen sich auch die Horrorszenarien der HEW-Hauspostille „Sammelschiene“ vom unbeleuchteten Weihnachtsbaum. Die norddeutsche Stromversorgung ist demnach durch die Abschaltung von Krümmel und Brunsbüttel gefährdet, Netzzusammenbrüche drohen. Offiziell aber will der Hamburger Energieversorger nichts davon wissen, daß der Strom versiegen könnte: „Ein unwahrscheinliches und ganz theoretisches Szenario“.

Wahrscheinlicher ist hingegen, daß der Stromverbraucher die Zeche dafür zahlen muß, daß die HEW mehr als jeder andere deutsche Energiekonzern in der Vergangenheit auf Atom gesetzt und sich von wenigen Kernkraftwerken abhängig gemacht haben, statt auf dezentrale Energieversorgung zu setzen. Weil der Stromversorger bereits heute täglich für 500.000 Mark teuren Strom aus dem europäischen Verbundnetz einkaufen muß, um die Versorgung Hamburgs sicherzustellen, schließen die HEW-Oberen wie Vorstandsmitglied Timm baldige Strompreiserhöhungen nicht mehr aus.

Eine Drohung, die vor allem das Kieler Energieministerium unter Druck setzen soll, das die beiden Riß-Reaktoren Brunsbüttel und Krümmel erst dann wieder ans Netz gehen lassen will, wenn es mit den HEW-Reparaturkonzepten für die beiden Atommeiler zufrieden ist. Einer Klage der HEW, die dem Umweltministerium vorwirft, es würde die Wiederinbetriebnahme absichtlich verzögern, räumt Minister Claus Möller keine Chance ein. Für sein Vorgehen holte er sich am Montag in einem Gespräch Rückendeckung von seinem Bonner Amtskollegen Klaus Töpfer.

Mit seinem Anliegen, auch die anderen rißgefährdeten bundesdeutschen Siedewasserreaktoren umgehend stillzulegen, um sie auf Rohr-Risse zu untersuchen und die erforderlichen Reparaturen auszuführen, fand der Kieler Energie-Claus beim Bonner Umwelt-Klaus allerdings wenig Gehör. Töpfer kündigte lediglich eine abschließende Stellungnahme seines Ministeriums zur Rißproblematik bis zum Jahresende an.

Aktiver wurde Klaus Töpfer hingegen in bezug auf Stade. Vorgestern forderte er vom niedersächsischen Umweltministerium einen Bericht über den Stand der Sicherheitsüberprüfungen des Reaktors an. Das Begehren kommt eher einer Sicherheitsüberprüfung der rot-grünen Niedersachsen-Regierung gleich: Sie soll die brisanten Gutachter-Ergebnisse offenbar nicht im Alleingang bewerten dürfen. Doch da Ergebnisse der Studie noch nicht vorliegen, wird sich der Bonner Hüter der Atomtechnologie wohl noch ein wenig gedulden müssen. Marco Carini