Karlsruhe rügt Hamburgs Asylrichter

■ Bundesverfassungsgericht läßt Asylantrag eines Kurden neu beurteilen   Von Sannah Koch

Über einen gerichtlichen Erfolg kann sich jetzt der 22jährige Kurde Nizamettin Kaya freuen. Das Bundesverfassungericht gab dem Auszubildenden, der seit vier Jahren in Hamburg als Asylsuchender lebt, eine weitere Chance: Es hob ein Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) vom Mai diesen Jahres auf, in dem Kayas Antrag auf Asyl abgelehnt worden war (taz berichtete).

Die Begründung des Bundesgerichts könnte auch für andere Flüchtlinge bedeutsam sein: Die Richter hatten nach Prüfung der Verfassungsbeschwerde des Hamburger Rechtsanwalts Michael Böttcher den Eindruck gewonnen, daß das Hamburger OVG die politischen Aktivitäten des jungen Kurden in der Hansestadt – und die eventuell daraus resultierenden Folgen nach einer Abschiebung in die Türkei – nicht umfassend genug gewürdigt hat.

Kaya ist in Hamburg nicht nur im kurdischen Dachverband „Komkar“ und im Kurdischen Arbeiterverein organisiert, sondern war unter anderem auch vor drei Jahren an der Besetzung des Hamburger Büros der Deutschen Presseagentur (dpa) beteiligt gewesen. Über politische Aktionen dieser Art gegen die türkische Bürgerkriegspolitik in Kurdistan werden in der Regel von den türkischen Konsulaten in Deutschland Berichte an die Regierung in Ankara gesandt. Dies wiederum kann für viele der nach Istanbul abgeschobenen Kurden Gefängnis und Verfolgung bedeuten.

Kaya hatte schon im Juni nach der OVG-Entscheidung erklärt, was eine Abschiebung für ihn bedeuten würde: Es liege in der Türkei ein Haftbefehl gegen ihn vor, so daß er entweder inhaftiert oder zum Militär eingezogen werde – für ihn unerträglich, weil er dann gegen das „eigene kurdische Volk kämpfen“ müsse. Auch Nizamettins Brüder leben aus diesen Gründen als Flüchtlinge im Ausland. Trotzdem hatte das Hamburger Verwaltungsgericht Kayas Fluchtgründe „angesichts erheblicher Glaubwürdigkeitsmängel“ nicht anerkannt und auch seine exilpolitischen Aktivitäten in Hamburg nicht als „asylrechtlich erheblichen Nachfluchtgrund“ akzeptiert.

Dies bemängeln nun die Bundesrichter. In ihrem Urteil legen sie dar, daß das Verwaltungsgericht „hohe Anforderungen an die exilpolitischen Aktivitäten stelle und von dem Grundsatz ausgehe, daß lediglich exponierte Regimegegner gefährdet seien“. Mit einem Hinweis darauf, daß Artikel 19 des Grundgesetzes jedem Einzelnen einen „substantiellen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle“ in allen verfügbaren Instanzen zusgetehe, hoben die BVG-Richter das OVG-Urteil als „gegenstandslos“ auf: Es seien keine ausreichenden Anhaltspunkte ersichtlich, daß eine „erneute – verfassungsgemäße – Rechtsanwendung mit Sicherheit wieder zum Nachteil des Beschwerdeführers ausfallen müßte“.

Die Neuverhandlung vor dem OVG dürfte erweisen, ob der Richterspruch für Kaya mehr als nur eine kurze Atempause bedeutet. Nach Ansicht der Hamburger Anwältin Siegrid Töpfer kann der Richterspruch von grundsätzlicher Bedeutung für kurdische Flüchtlinge in Hamburg sein. Denn die werden bislang rigoros abgeschoben – nicht ins kurdische Kriegsgebiet, aber in die Westtürkei. Dort, so die Hamburger Innenbehörde, böten sich Kurden immer noch genügend „inländische Fluchtalternativen“.