Nicht Hollywood, sondern das Autorenkino hat alles zerstört

■ Ist das Schauspieler-Kino eine Alternative zu Hollywood und zum Autorenfilm? Ein Gespräch mit Bernd Eichinger, dem Produzenten von "Das Geisterhaus"

taz: „Das Geisterhaus“ ist eine deutsch-dänisch-portugiesische Koproduktion der Neue Constantin Film Produktion GmbH. Was heißt das konkret?

Bernd Eichinger: Gar nichts. Für die Produktion eines Films ist irrelevant, was hinterher in den Credits steht. Wir haben in Portugal gedreht, wegen der Ortskenntnis ist ein dort ansässiger Produzent beteiligt. „Das Geisterhaus“ ist nicht wirklich eine Koproduktion. Bei einer wirklichen Koproduktion muß ich mir den Gewinn teilen. Hier geht es eher um Logistik, wie schon bei „Der Name der Rose“. Der wurde in Italien gedreht, und weil ich nicht mit der Mafia ins Gehege kommen wollte, war ein italienischer Produzent dabei.

Anders gefragt: Wie kamen die 25 Millionen Dollar für „Das Geisterhaus“ zusammen? Wieviel Fördergelder stecken drin, wieviel Vorab-Auslandsverkäufe...

Das ist auch langweilig.

Für Sie, weil Sie wissen, wie's funktioniert.

Nein, weil es das Niveau des Gesprächs reduziert. Ich erkläre Ihnen das Prinzip. Ich suche und entwickle einen Stoff, das heißt, ich gehe den langen, steinigen Weg bis zum Drehbuch, das kann bis zu drei Jahren dauern und verschleißt manchmal vier, fünf, sechs Autoren. Wenn das Projekt sich dann in Form des Drehbuchs vermittelt, suche ich einen Regisseur, von dem ich mir vorstellen kann, daß er einen Zugang zum Stoff hat. Zusammen überlegen wir uns dann die Besetzung. Erst jetzt gehe ich zu den Verleiherkollegen in der Welt und sage: Diesen Film will ich drehen, willst Du den in Japan verleihen? Sagt der ja, sage ich: dann mußt du mir soundsoviel Geld dafür geben. Dasselbe mache ich in Italien, Frankreich, Amerika, Skandinavien, bis ich einen Packen Verträge habe. Mit denen gehe ich zur Bank und bitte um Kredite. Mit dieser Zwischenfinanzierung, für die meine Verträge eine Art Bürgschaft darstellen, drehe ich den Film. Das Geld kommt zum Projekt, nicht umgekehrt. Meine Arbeit als Produzent besteht darin, dafür zu sorgen, daß das Projekt stimmt.

Sie gelten als jemand, der den richtigen Riecher für den kassenträchtigen Film hat. Was ist ein guter Filmstoff?

Das kann ich nicht genau definieren, in jedem Fall etwas, das mich zum Lachen und zum Weinen bringt, mich emotional involviert. Ich muß der erste Zuschauer sein, das heißt, ich muß mir vorstellen können, wenn es den Film gibt, dann wäre ich am ersten Wochenende drin, nicht erst am zweiten oder dritten. Ein gutes Drehbuch muß eine erzählerische Kraft haben. Das ist zum Teil schlichtes Handwerk. Ein Film, der fünfzehneinhalb Minuten lang nur Informationen transportiert, um dann eine Szene lang Emotionen zu vermitteln, hat schon verloren. Der Kommissar kommt hoch und fragt: Sind Sie Frau Meyer? Sie: Ja. Er: Ich muß Ihnen eine schlimme Nachricht überbringen. Sie: Handelt es sich um meinen Sohn? Er: Ja, es handelt sich um Ihren Sohn. Undsoweiter. Da kann ich nur sagen: Cut, cut, cut! So etwas erledigt man in einem Satz: „Frau Meyer, Ihr Sohn ist gestern tödlich mit dem Auto verunglückt“ und fertig. Das meine ich mit Kraft. Man muß wissen, wo man hin will, nämlich zum Publikum und daß man dem die Ohren, die Augen und das Herz aufmacht.

Es gibt ja einen gemeinsamen Nenner bei Ihren Produktionen. Mit Ausnahme von „Christiane F.“ behandelt keine die Gegenwart, allen liegen Bestseller zugrunde, die Besetzung ist international. Einen unbekannten Roman oder ein Originaldrehbuch haben Sie noch nie produziert.

Die Tür geht auf, und jemand kommt mit einem fertigen Drehbuch herein: Das wäre ideal. Dann könnte ich mir die zwei, drei Jahre Vorarbeit sparen.

Wieso passiert das nie?

Weil sich in Deutschland wenige Leute als Drehbuchschreiber definieren. Es gibt Autoren für Fernsehserien, auch gute Autoren, mit einer gewissen Genre-Tradition. Aber den Beruf eines Kino- Drehbuchschreibers gibt es hier nicht. Sie sagen oft, es gibt keine Aufträge. Ich sage dann, setz Dich hin und schreib was, statt in der Kneipe zu hocken. In den USA kommt das öfter vor, sogenannte Spec-Scripts. Ein Autor hat gerade keinen Auftrag, schreibt aus eigenem Antrieb ein Drehbuch, gibt es seinem Agenten, und der verteilt es. Das geht oft unglaublich schnell. Freitag abend wird verteilt, Montag beginnt die Auktion. „Basic Instinct“ war ein Spec- Script.

Warum passiert das in den USA, aber nicht in Europa? Steht dem die Tradition des Autorenfilms im Weg?

Ich glaube, die Autoren sind von den Regisseuren grauslig schlecht behandelt worden. Ich war ja oft dabei. Da lieferte einer ein Drehbuch, und was machte der Regisseur als erstes? Er malte wie ein Oberlehrer mit dem Kugelschreiber im Text herum und schrieb die Dialoge um. Ich sagte dann immer: Spinnst Du? Bevor Du was änderst, red doch erstmal mit dem Mann.

Das haben Sie in Ihrer Zeit als Chef von „Solaris“ erlebt, als Sie Geissendörfer-, Wenders-, Reitz- und Syberberg-Filme produzierten?

Und wie! Die Regisseure verstanden sich nicht als Regisseure, sondern als Gesamtkunstwerk. Über zwei Jahrzehnte lang beschäftigte man sich nur mit sich selbst. In Einzelfällen hatte das seine Berechtigung und führte zu wunderbaren Filmen, wie bei Ingmar Bergman. Im Prinzip kommen Filme aber auf eine komplexere Art und Weise zustande. Der Autorenfilm hat alles kaputt gemacht. Er hat die gesamten Restbestände der europäischen Filmkultur zerstört.

Selbstzerstörung? Lag es nicht auch daran, daß es zu wenige profilierte Produzenten gab?

Das könnte man annehmen. Aber ich war ja seit 1972 dabei. Die Regisseure haben nicht nur die Autoren wie Dreck behandelt, die haben jeden wie Dreck behandelt.

Wen meinen Sie denn? Fassbinder?

Fassbinder hat sein Team auch wie Dreck behandelt. Aber der darf sich wenigstens Regisseur nennen. Der war ein Talent. Der brauchte keinen Produzenten, genau wie Bergman. Der brauchte nur einen Geldgeber. Wenn er eineinhalb Millionen brauchte, aber nur 450.000 kriegte, dann drehte er halt für 450.000. Er war flexibel und hat außerdem dauernd gedreht. Wenn er sich zusammengerissen hat, war er auch noch ein guter Autor.

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, daß Sie in Deutschland ziemlich allein dastehen?

Erstens haben die Leute es relativ früh aufgegeben, die Filme zu machen, die sie mochten. Die meisten haben sich in eine Nische drängen lassen. Ausnahmen gibt's mehr unter den Regisseuren: Wolfgang Petersen, Uli Edel, Roland Emmerich: Leute, die groß denken. Aber die gehörten von Anfang an nicht richtig dazu, genau wie ich. Mir macht es halt Spaß, in die Welt rauszudenken. Bei Wim Wenders ist es etwas anderes. Der ist eine Kunstfigur Gespräch mit Bernd Eichinger, dem Produzenten von „Das Geisterhaus“

Von C. Peitz und T. Chervel

und hat sich von Anfang an wie ein Künstler des 19. Jahrhunderts selbst stilisiert, als Andy Warhol des deutschen Films. Ähnlich war es bei Fassbinder, der auf seine Art international dachte. Alle anderen sind verreckt.

Oder nach Hollywood gegangen.

Klar, denn sie konnten hier nichts werden.

Die meisten Autorenfilmer sagen, die Invasion von Hollywood hat das europäische Kino zerstört. 1978 sind Sie in die Neue Constantin eingestiegen und haben als Verleiher vor allem amerikanische Filme auf den deutschen Markt gebracht. Wenn der Marktanteil der US-Filme im europäischen Durchschnitt heute 90 Prozent beträgt, haben Sie selber daran mitgewirkt.

Wir reden von einem Massenmedium. Sie können die Leute nicht zwingen, in andere Filme zu gehen, als in die, die sie sehen wollen.

Es ist aber schwerer, einen Film sehen zu wollen, der bundesweit mit nur fünf Kopien startet und in meinem Ort vielleicht gar nicht anläuft.

Das ist nicht wahr. Es gibt einen Grund, warum er nur mit fünf Kopien verliehen wird. Glauben Sie mir, wir wären so scharf darauf, Filme in den Verleih zu nehmen, die witzig sind, die Esprit haben, schräg sind. Aber es gibt sie nicht. Deutsche Filme sind langweilig.

„Wir können auch anders“ war nicht langweilig.

Der war ja auch ein Riesenerfolg. Den haben so viele Leute gesehen, wie ihn sehen wollten. So einem Film tut es aber nicht gut, wenn er im Zoo-Palast im Kino1 anstelle des US-Films läuft. Der braucht die Nische, er hat sie bekommen und sein Publikum gefunden.

Aber die Nische wird immer kleiner.

Das stimmt nicht. Ich bin seit 14 Jahren im Verleihgeschäft, noch nie hat jemand meine Filme auf Kosten anderer reingedrückt. Die Filme sind nicht da. In Deutschland werden jährlich vielleicht 70 Filme gedreht, davon kommen 20 in die Kinos. Was soll das?

Was muß denn Ihrer Meinung nach geschehen, damit es für den europäischen Film wieder eine funktionierende Infrastruktur gibt?

Das ist nicht mehr hinzukriegen. Natürlich dominiert das Hollywood-Kino, weil der Heimatmarkt des US-Kinos so groß ist, daß sich die Herstellungskosten dort amortisieren können. Das kann kein deutscher, kein italienischer, kein französischer Film, es sei denn, er bescheidet sich mit einem Budget von fünf oder sechs Millionen Mark. Deshalb dürfen wir nicht mehr in Länderkategorien denken. Filme werden von Leuten gemacht und nicht von Ländern, auch nicht von Firmen. Bei Stoffen, die ein höheres Budget erfordern, ist die Welt mein potentielles Publikum, also sind auch die Stoffe anders dimensioniert. Gute Filmteams sind heute ohnehin international besetzt. Man nimmt sich die besten Leute, die es in der Welt gibt. Es wäre verrückt, das nicht zu tun.

Führt das nicht automatisch zu einer Art amerikanischem Film?

Das sowieso. Die Amerikaner halten bis heute strikt am Erzählkino fest und haben es überall in der Welt durchgesetzt. Gut erzählte Filme verstehen die Leute nun mal besser als schlecht erzählte. That's it. Der Rest ist nebensächlich. Neuerdings beklagt man sich über schlechte Vertriebsstrukturen. Aber so nähert man sich dem Problem vom falschen Ende. Das Produkt kommt immer vorne. Wenn das Produkt stimmt, werden Sie in der Vermarktung nie ein Problem bekommen. Sie könnten dann auch an die Amerikaner verleihen. Die Major Companies werden zur Zeit so sehr angeschossen, wenn die zehn gute deutsche Filme kriegen könnten, würden sie sie sofort in ihre Verleihschiene nehmen.

Sie meinen, die hätten dann in den USA Erfolg? Daniel Toscan, der Präsident der Unifrance, fordert ja auch die Öffnung des amerikanischen Marktes für den europäischen Film.

Nein, das ist Bullshit. Ein Amerikaner akzeptiert keine synchronisierten Filme. Die sehen ja selbst bei englischen Nachsynchronisationen die kleinste Ungenauigkeit. Wir nehmen das gar nicht wahr.

Das heißt, man muß von vornherein auf englisch drehen und wie im „Geisterhaus“ die Namen der chilenischen Parteien englisch schreiben...

Das ist Ihnen aufgefallen? Wissen Sie, wie das zustande kam? Wir haben immer von Conservative Party gesprochen und von People's Front. Weil wir bei der Arbeit halt englisch miteinander reden. Das ist nie verändert worden, und nie hat jemand dran gedacht, dem Dekorateur Bescheid zu sagen. Als dann beim Drehen diese Riesen-Transparente dahingen, bei einer Szene mit Hunderten von Statisten, war es zu spät. Wir haben gehofft, es merkt keiner.

Es ist nicht zu übersehen.

Es war wirklich ein Versehen. Wir sind ja nicht doof. In „Der Pate“ liefen alle Italien-Episoden auf italienisch mit Untertiteln, das war kein Problem. Aber man kann keine Eulen nach Athen tragen. Europäische Filme werden in den USA immer einen exotischen Charakter haben und nie ein breites Publikum gewinnen. Die haben genug Filme. Warum gibt's hier so wenig amerikanische Autos? Weil die keine Autos bauen können.

Bei aller Kritik am „Geisterhaus“ unterscheidet sich der Film in einem bezeichnenden Punkt sowohl vom Hollywood-Kino als auch vom Autorenfilm: Er ist stark auf die Schauspieler konzentriert. Das geht meines Erachtens in Hollywood über all die Action und Special Effects genauso verloren wie im Autorenfilm, weil ein Autor seine Idee verwirklichen will und sich möglicherweise für die Gesichter auch nicht mehr interessiert.

Im Idealfall enthält ein Film beides. Aber letztlich sind immer die Charaktere entscheidend. Es geht um Emotionen, und die werden über die Protagonisten transportiert. Es gibt nur eine einzige Ausnahme eines erfolgreichen Films, der nicht über die Identifikation mit den Figuren funktioniert: „Jurassic Parc“. Aber Spielbergs „Close Encounter“ oder „Der Weiße Hai“ funktionierten über Personen.

Das sind ältere Filme. Ich meine das aktuelle Hollywood- Kino, einen Film wie „Cliffhanger“.

„Cliffhanger“ ist ein gutes Beispiel. Der hat gerade noch funktioniert, aber er hätte mindestens doppelt soviel eingespielt, wenn sie sich eine wirkliche Geschichte ausgedacht hätten. So aber war er nur spektakulär.

Ist das nicht ein Symptom?

Nein, es ist ein Fehler. Ich kann Ihnen auch sagen, woran's lag. Eigentlich arbeitete die Produktion an einem anderen Projekt, weil sie mit „Cliffhanger“ nicht weiterkam. Aber Sylvester Stallone hatte einen Pay or Play-Vertrag, das heißt, er wurde für einen bestimmten Zeitraum engagiert, und wenn in der Zeit nicht gedreht wird, muß man die Gage trotzdem zahlen. Da wird nicht gefackelt. Also haben sie den Regisseur Renny Harlin und Stallone rübergezogen und den halbfertigen „Cliffhanger“ in Windeseile versucht fertigzumachen. Das ist ihnen nicht wirklich gelungen.

Stichwort Gatt-Verhandlungen. Die Europäer sagen, die Major Companies zerstören das europäische kreative Potential, Jack Valenti, der Chef des amerikanischen Produzentenverbandes sagt, Europa blockiert die Liberalisierung des audiovisuellen Weltmarkts. Wem stimmen Sie zu?

Keiner hat recht. Ich habe mich bemüht, die Problematik der Gatt- Verhandlungen zu verstehen, ich verstehe sie nicht. Wenn Jack Valenti verlangt, daß der Film in Europa nicht mehr subventioniert werden soll, ist das natürlich Unsinn. Wenn wir in Deutschland Filme fördern wollen, brauchen wir doch Jack Valenti nicht zu fragen. Andererseits machen Einfuhrbegrenzungen, Quoten und ähnliches auch keinen Sinn. Die wären sogar gefährlich. Eine Einfuhrbegrenzung für US-Filme würde den letzten Messerstich für die rudimentären Reste der hiesigen Filmindustrie bedeuten. Es wäre, wie wenn Sie ein Starkstromkabel durchschneiden: Dann gehen vorne die Lichter aus.

Sind Sie auch gegen die EG- Richtlinie, daß mindestens 50 Prozent der im Fernsehen ausgestrahlten Filme europäischer Herkunft sein sollten? Also gegen das, was Frankreich schon praktiziert?

Die Quote wird ja selbst in Frankreich permanent umgangen. Canal Plus hatte diese Bestimmung nicht, Ergebnis: Die machen Kohle wie eine Gelddruckmaschine. Natürlich ist es im Fernsehen insgesamt etwas anderes, denn im Serienbereich können wir durchaus konkurrieren, einfach weil die Produktionskosten und damit der Qualitätslevel nicht niedriger sind als in den USA. Aber im Spielfilmbereich macht das wenig Sinn. Man muß den Markt sich entwickeln lassen.

Was soll sich bei einer Dominanz der US-Filme von 90 Prozent noch entwickeln? Wieso wäre die Filmlandschaft zerstört, wenn man diese 90 Prozent auf 80 oder 70 reduziert?

Weil die Kinos dichtmachen. Die Leute gehen ja nicht ins Kino, sondern in Filme. Wenn es weniger Filme gibt, denn darauf liefe es hinaus, sind die Kinos tot.