GAU geplant: Spiel mit dem Feuer

In einem französischen Versuchsreaktor lösen Forscher heute eine Kernschmelze aus / Zweifel an der Ungefährlichkeit des Versuchs  ■ Von Nicola Liebert

Berlin (taz) – In einem 15 Jahre alten südfranzösischen Atomreaktor fallen die Kühlsysteme aus. Die Temperaturen im Reaktorkern steigen auf über 2.500 Grad, es kommt zur Kernschmelze. Eine radioaktive Wolke entweicht und gerät in das Rohrsystem.

Dieses ist kein Szenario, was bei einem GAU theoretisch passieren könnte. Heute findet dieser GAU im Versuchsreaktor Phébus in Cadarache, gut 50 Kilometer nordöstlich von Marseille, statt. Ein kontrollierter GAU – sagen jedenfalls die Beteiligten. Die Spaltstoffe wie Cäsium-137, Jod-131 und Strontium-90 sollen in einen Strahlenbunker geleitet und dort untersucht werden. 400 Sensoren analysieren die chemischen und physikalischen Prozesse, die in der Höllenhitze ablaufen. Nach einigen Stunden wird die Kettenreaktion gestoppt – hoffentlich. Peter von der Hardt vom EG-Institut für Sicherheitstechnologie Ispra beruhigt nervöse Naturen, daß kein radioaktives Material in die Umgebung entkäme. Das sollen drei Sperren gegenüber der Außenwelt verhindern: ein Rohrkreislauf, ein Stahlbehälter und das Betongebäude selbst.

Auf einen Schlag will man damit Erkenntnisse über das Verhalten von radioaktiven Gasen und Schwebeteilchen und über die Veränderungen an den Brennelementen erhalten. Die gewonnenen Daten, so EG-Projektleiter von der Hardt, sollen nicht nur dazu dienen, die Sicherheitsvorrichtungen bestehender AKW zu überprüfen, sondern auch für die Planung neuer Akw genutzt werden.

Und: die Atomforscher scheinen wie selbstverständlich davon auszugehen, daß es früher oder später zu einem ungewollten GAU kommt. Denn ganz offiziell will man mit dem Experiment auch „die Bedienungsvorschriften für die Beherrschung eines schweren Störfalls verbessern“, so ein EG- Papier. Zudem hegt die Atomgemeinde die Hoffnung, daß bei künftigen Genehmigungsverfahren die Ansprüche an die Sicherheit der Anlage zurückgeschraubt werden, wenn sich zeigt, daß ein GAU leicht beherrschbar ist.

270 Millionen Mark kostet das Experiment. Frankreich, wo der Ausbau der Atomkraft nicht in Frage steht, trägt jedoch nur gut die Hälfte dieser Kosten. Die EG ist mit 30 Prozent beteiligt, den Rest zahlen Energieorganisationen aus Japan, Kanada, den USA und Südkorea.

Die Atom-Fachleute von Greenpeace teilen nicht den Optimismus der Techniker in Cadarache, daß nichts schiefgehen könnte. Laut einer wissenschaftlichen Studie der Gruppe Ökologie Hannover besteht die Gefahr einer Dampfexplosion. Sie könnte dazu führen, daß der Reaktor nicht mehr beherrschbar ist. Greenpeace-Atomexperte Roland Hipp warnt, daß gerade wegen der Einzigartigkeit des Experiments Bedienungsfehler wahrscheinlich seien. Schon bei der Vorbereitung kam es zu einer Reihe von Problemen, weswegen der Versuch mehrmals verschoben werden mußte. So lief nach Greenpeace-Informationen einmal ein Becken mit radioaktivem Kühlwasser über, einmal fielen Sägespäne, ein anderes Mal ein Schraube ins Kühlwasser.