Gesundheitsminister Seehofer feuert weiter

■ Nach neuen Vorwürfen in der Blut-Aids-Affäre wurde der leitende BGA-Beamte Gottfried Kreutz suspendiert / Es geht um eine Altlast aus dem Jahr 1984

Berlin (taz) – Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) setzt seine Politik der Paukenschläge fort. Am Dienstag abend suspendierte er den Leiter der Abteilung Arzneimittelverkehr im Bundesgesundheitsamt (BGA), Gottfried Kreutz, von seinem Amt. Begründung: Kreutz habe im Juli 1990 auf eine Alarmmeldung wegen HIV-verseuchter Blutgerinnungspräparate PPSB nicht reagiert. Gleichzeitig informierte Seehofer die Staatsanwaltschaften in Darmstadt und Berlin. Nachdem Seehofer den Beamten suspendiert hatte, forderte er beim BGA einen Bericht zur Klärung der Fakten an.

Nach Informationen der taz stammt die HIV-verseuchte PPSB- Charge aus dem Jahr 1984. Sie war sechs Jahre später von dem Erlanger Virologen Prof. Jahn (heute Uni Tübingen) auf HIV untersucht worden. Anlaß der nachträglichen Prüfung war eine Intervention des Bundesgesundheitsamtes, das im April 1990 wegen eines Positiv-Befundes in einer Charge der Firma Biotest einen generellen Vertriebsstopp für alle PPSB-Präparate angeordnet hatte. Die Firma Biotest ließ daraufhin die Rückstandschargen ihrer PPSB-Bestände aus den letzten 15 Jahren nachträglich von Jahn untersuchen. Und Jahn wurde fündig. Er entdeckte in einer 84er Probe tatsächlich HIV-Anti-Gen und teilte seinen positiven Befund dem Arzneimittel-Institut des BGA im Juli 1990 mit. Jahn unterrichtete ebenfalls die hessische Landesbehörde und die Herstellerfirma Biotest. Dem BGA wird jetzt vorgehalten, daß es auf die Jahn-Meldung nicht reagiert habe.

Das Bundesgesundheitsamt war, wie die taz gestern erfuhr, davon ausgegangen, daß die 84er Charge in den Krankenhäusern längst verbraucht war. Die Laufzeit der verseuchten Charge soll zwei Jahre betragen haben, sie wäre also spätestens Ende 1986 aufgebraucht gewesen. Grundsätzlich haben PPSB-Präparate allerdings eine Haltbarkeit von bis zu fünf Jahren. Zudem, so hieß es gestern in dem Berliner Amt, sei auch die hessische Landesbehörde unterrichtet gewesen. Da die Chargennummern in den Krankenblättern der Patienten nicht enthalten seien, hätte man die Empfänger der verseuchten Medikamente nicht mehr ermitteln können.

Von BGA-Mitarbeitern wurde gestern die Suspendierung von Kreutz als weiterer Seehoferscher Rundumschlag kritisiert. Seehofer jage einen Beamten aus dem Amt, ohne die Faktenlage genau zu kennen.

Gottfried Kreutz bestätigte am Mittwoch, daß er von Seehofer suspendiert wurde, lehnte aber jeden Kommentar ab. Sein Dienstherr, das BGA, habe ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, über dessen Stand er nichts wisse. Die Staatsanwaltschaft sei bisher nicht an ihn herangetreten, sagte Kreutz. Der Leiter der Abteilung Arzneimittelverkehr gilt BGA-intern als „guter Mann“, bei dem jede Kungelei mit der Pharmaindustrie ausgeschlossen sei, hieß es gestern aus verläßlicher Quelle. Im Gegenteil: Bei der Berliner Schering AG und anderen Pharma-Konzernen dürften nach der Suspendierung von Kreutz die Sektkorken geknallt haben.

In Bonn wird nach den neuerlichen Turbulenzen allgemein mit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses oder einer Expertenkommission gerechnet, um die Dinge zu klären. Die SPD versuchte gestern erneut, Seehofer mit in die Verantwortung zu nehmen. Es gehe nicht an, daß ständig Beamte entlassen werden und der Minister so tue, als ginge ihn das alles nichts an, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Klaus Kirschner. Die jetzt diskutierten PPSB-Präparate enthalten ein Gemisch aus verschiedenen Gerinnungsfaktoren. Sie werden keineswegs nur Blutern, sondern auch „normalen“ Krankenhauspatienten verabreicht. Bei bestimmten Formen des Schocks mit Gerinnungsstörungen, bei schwierigen Geburten und Operationen und nach Unfällen wird häufig PPSB eingesetzt. Manfred Kriener