Sanssouci
: Vorschlag

■ „Die Kranichmaske, die bei Nacht strahlt“ am Halleschen Ufer

In einer von Yoko Tawadas wunderbaren Geschichten staunt die Ich-Erzählerin über den Inhalt einer Dose: Eine Japanerin ist auf der Verpackung aufgemalt, aber keine Japanerin, sondern ein Thunfisch befindet sich in der Dose. Diese Überraschung fand am Sonntag statt, denn sonntags, so hatte die Erzählerin beschlossen, las sie keine Schrift mehr.

Ähnlich absurd und ausgesprochen kryptisch geht es im ersten Theaterstück von Yoko Tawada zu. „Ich kann noch in jedem Buchstaben Fehler einbauen“, sagt eine der Figuren in „Die Kranichmaske, die bei Nacht strahlt“. Eine Tote, Symbol der Zersetzung und des Verschwindens, steht im Zentrum des Stücks und sorgt bei den Hinterbliebenen für Sprachzersetzung und absurde Dialoge. Höfliche Menschen: Jeder spricht für sich allein und mischt sich nicht ein in das Gerede der anderen. Der Nachbar, der eigentlich nur gekommen war, um sich über den Verwesungsgestank zu beschweren und eindringlich fordert, das Fleisch dort zu deponieren, wo es hingehört – im Kühlschrank – verpackt sich selbst in mehrere Anzüge und schnürt sich mit einer Schnur wie ein Postpaket ein. Befreit wird er vom Bruder der Leiche, einem Menschen, der mit einer Frau verheiratet war, die in Wirklichkeit eine Muschel ist: Nachts pißt sie in Kochtöpfe, um daraus die Suppe für den nächsten Tag zu kochen.

Seltsam schillernde Dialoge hat Yoko Tawada ineinander geschachtelt, doch auch der Regisseur Ernst M. Binder ist ein höflicher Mensch: Außerordentlich streng und jenseits aller szenischen Phantasie, die den sperrigen Text (möglicherweise) bühnenwirksam entfalten könnte, läßt er auch uns, die Zuschauer, in Ruhe. Daran können auch Jutta Hell und Dieter Baumann vom Tanztheater Rubato nichts ändern. Mit nackten, weiß angemalten Körpern wandern sie als entseelte Geister durch die Geschichte. An den japanischen Butoh erinnert ihr Tanz, doch bei den Rubatos entfaltet er nicht jene ätherische Qualität, die den Butoh ausmacht. Eine Totenfeier ohne Wirkung. Regungslos liegt Texia Farina aufgebahrt auf der Bühne, weiße Schriftzeichen sind auf ihrem Körper aufgemalt. Wenn die Schwester, die hingebungsvoll die Leiche wäscht, den letzten Buchstaben fortgewischt hat, ist auch das Ende aller Worte gekommen. Die Tote erhebt sich von ihrer Lagerstatt, die Schauspieler liegen stumm und apathisch auf der Bühne.

Als Koproduktion mit dem „steirischen herbst“ zeigt das Theater am Halleschen Ufer die Erstaufführung von „Die Kranichmaske, die bei Nacht strahlt“. Eine Zusammensetzung, die den japanischen Elementen in Yoko Tawadas Stück, der Durchsetzung mit Elementen des No-Theaters, nicht auf die Spur gekommen ist. Vielleicht hätte eine Beteiligung von japanischen Schauspielern oder Butoh-Tänzern zu einem Blick ins Reich der Toten verholfen. Michaela Schlagenwerth

Bis zum 23.10. um 20 Uhr im Theater am Halleschen Ufer.