Die Illusion der Traumfabrik

Auf dem Defa-Gelände Babelsberg planen Investoren eine futuristische Medienstadt mit insgesamt 10.000 Arbeitsplätzen / Welche Realisierungschance hat der großartige Entwurf?  ■ Von Rolf Lautenschläger

Der Herstellungsprozeß eines Films, vom Skript bis zur fertigen Kopie, gleicht einer Metamorphose. Nicht selten klaffen zwischen Idee und Endfassung Welten. „Film ist Bewegung“, heißt es. Der Transformationsprozeß der einstigen Filmstudios in Babelsberg in eine „Medienstadt“ ist von ähnlichen Unwägbarkeiten in der Verwandlung geprägt. Es existieren Ideen und Pläne für eine neue Filmstadt, erste „Probeaufnahmen“ sind „abgedreht“. Ob das traditionsreiche Filmgelände südlich von Berlin den „Feinschnitt“ der geplanten Motive erlebt, muß die Zukunft bringen. – Zwischen den Jahren 1910 und 1939 ist Babelsberg bei Potsdam nicht nur die wichtigste und größte Produktionsstätte des deutschen Films gewesen. Berühmtheit erlangten die Studios auch für ihr kreatives Potential. Hier standen das erste völlig verglaste Filmstudio, die größten Ateliers und das erste Tonfilmgebäude. Selbst zu Defa-Zeiten war der Schauplatz bedeutsam wegen seiner Werkstätten und spezialisierten Mitarbeiter.

Die bestehende Dingwelt noch existierender Ufa-Bauten und Defa-Studios, Werkstätten und Büros ist heute verschlissen. Die große Filmhalle, in der Meisterwerke wie Fritz Langs „Metropolis“ oder „Der Blaue Engel“, Nazi-Propaganda-Streifen wie „Hitlerjunge Quex“ und die Bilder des „Antifaschistischen Films“ wie Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“ und Kurt Mätzigs „Die Affäre Blum“ gedreht wurden, wirkt abgeschabt und murkelig. Von den vorfabrizierten Blechkulissen der DDR-Büro-Container und Lagerschuppen gibt es keinen Widerhall der klangvollen Namen. Pola Negri, Greta Garbo oder Marlene Dietrich haben dort gedreht.

Die einstige Filmstadt löst sich auf, unterliegt einem ökonomischen und physischen Zerkleinerungsprozeß. Von den Fassaden bröckelt der Putz, der Mythos der Filmstadt ist gealtert: Die Diva hat Haarausfall und falsche Zähne. Von den einst 2.700 Defa-Angestellten, darunter Regisseure, Schauspieler und Kameraleute, Dramaturgen, Bühnenarbeiter und Skriptgirls haben nur noch wenige eine Beschäftigung. Über den traurigen Zustand hinwegtäuschen können auch nicht die Kulissen für die Modellbahnen der BVG, die „Unendliche Geschichte III“ oder die neu ausgestatteten Tonateliers. Ein funktionierendes Filmstudio ist besser ausgelastet. Die Versuche wirken ärmlich, beinahe fremd.

Im letzten Jahr erwarb das französische Unternehmen „Compagnie Immobilière Phénix“ (CIP) mit der britischen Partnergesellschaft „Chelsfield“ die Studios und das Gelände von der Treuhandanstalt für 130 Millionen Mark. Beide Unternehmen verdienen ihr Geld hauptsächlich im Grundstückshandel – im Gangsterfilm auch Spekulation genannt – und in der Anlage von sogenannter „Spaß- und Freizeitparks“. Im Treuhandvertrag wurde verabredet, das Areal zehn Jahre lang nicht für medienfremde Zwecke zu veräußern, 750 Arbeitsplätze zu erhalten und auf dem Gelände für 410 Millionen Mark Sanierungen, technische Erneuerungen und Baumaßnahmen durchzuführen – insgesamt 705.000 Quadratmeter des Hauptgeländes müssen vermarktet werden.

Darüber hinaus soll die Produktion von Filmen mit Budgets von insgesamt 60 Millionen Mark gewährleistet sein. 1992/93 wurde das Grundstück an eine Tochter der CIP, die „Euromedien Grundstücksgesellschaft mbH“, übertragen und die Defa in „Studio Babelsberg“ umgetauft, Produktion und Neue Medien übernahm der Filmregisseur Volker Schlöndorff, die Leitung von Euromedien Pierre Conveinhes. Die Koordination zur Erschließung und städtebaulichen sowie architektonischen Entwicklung wurde von Euromedien an eine weitere Tochtergesellschaft von CIP, die „Compagnie d'Aménagement Développement“ (CAD), weitergereicht.

Als Vorbilder, aber nicht als Abbilder für die „Medienstadt Babelsberg“ dienen amerikanische Studios, die nach dem Strukturwandel des Films in den sechziger Jahren die neue Studiowelle – den Trend zur Kommerzialisierung des gesamten Filmgeländes – auslösten. So öffnete „Universal-City“ (Los Angeles) schon 1968 sein Studio für externe Benutzer und Dienstleister. In den achtziger Jahren entstanden neben dem Vergnügungspark ein 100 Meter hoher Büroturm, ein Amphitheater mit 6.000 Plätzen, Hotels und Restaurants. Der Film-Spaß-Park vermietete seine Ateliers an Fernsehproduktionen und modernisierte die Herstellungsmethoden durch neue Techniken der Bildübertragung (Satellit, Kabel) und Aufnahmetechnik (Video, HDTV). Die Transformation von der Film- zur Medien- und Bürocity vollzogen auch die Columbia-Studios oder die Century-City in Hollywood. Bei Columbia beispielsweise wurde der gesamte Baubestand modernisiert, die Ateliers erhielten neue elektronische Equipments – die zugleich als technologisches Schaufenster des neuen Besitzers (Sony) herhalten müssen.

In der Bundesrepublik existiert kein zentraler Standort mit einer Konzentration audiovisueller Industrien und Dienstleistungen. Vielmehr scheint ein Versuch – der Mediapark Köln – gescheitert, weil das Verwaltungszentrum für den Mediensektor ohne Studios und andere Produktionsstandorte geplant war. Die meisten der fünf großen Firmen, die auf der halbrunden Anlage am „Ring“ je einen Block für sich beanspruchen, sind nicht aus dem Mediensektor wie zum Beispiel die Victoria-Versicherungen. Der medienspezifische Charakter ging verloren, die Anlage ist zu einem normalen Büropark avanciert, ihr Programm beinhaltet weder urbane Dichte noch eine ausgewogene Nutzungsmischung.

Die Macher der Medienstadt Babelsberg stellen sich eine andere Zukunft vor: Nach dem Workshop im März 1993, der visionäre städtebauliche Entwürfe von fünf Architekturbüros erbrachte, wurde für die Entwicklung der Filmstadt ein „Sieben-Phasen-Modell“ entwickelt. Auf der Grundlage der städtebaulichen Entwürfe von Hilmer & Sattler soll in einer ersten Phase die „Parzelle 7“ – eine Exklave auf der gegenüberliegenden Seite des Studios – mit zwei vier bis fünfgeschossigen Bürogebäuden für die Ufa-Bertelsmann, einem Hotel und Appartements bebaut werden.

Auch für die Planung des rund zwei Milliarden Mark teuren Bauvorhabens der Medienstadt verpflichtete die CDA die Architekten Hilmer und Sattler, München, sowie Valode und Pistre, Paris. Doch der aus den Ergebnissen des Workshops hervorgegangene Entwurf liest sich immer noch wie ein Drehbuch aus der Traumfabrik: Das 46 Hektar große, ehemalige Defa-Gelände soll einer futuristischen Medienstadt Raum geben. Das städtebauliche Konzept sieht vor, „Quartiere“ für Film- und Fernsehateliers, Hotels und Restaurants, Büro- und Business- Centers, Studios für das ZDF sowie den ORB, die Filmhochschule Potsdam, Werkstätten für Bühnenbauten, Stukkateure und Special Effects, Wohnungen, Geschäfte und Kultureinrichtungen um eine künstliche Parklandschaft zu formen.

Christoph Sattler: „Der derzeitige Bebauungsplanentwurf strebt die Realisation einer kleinen Stadt auf dem Studiogelände an, deren Charakter sowohl von den historischen als auch von dem Filmgeschehen unserer Zeit geprägt ist. Diese kleine Stadt setzt sich aus einer Mehrzahl von Quartieren zusammen, die sich in ihrer Nutzung, ihrer Dichte, ihrem Straßenbild und ihrer architektonischen Gestalt sehr voneinander unterscheiden. Im südlichen Zentrum liegt ein städtischer Platz. Er wird an seiner Schmalseite durch ein abgetrepptes Hochhaus abgeschlossen. Am Grand Boulevard reihen sich unterschiedliche Quartiere auf: Erst ein hochverdichtetes Büroviertel, dann Wohngebäude in moderater Höhe, weiter das dichte „Quartier Latin“, die Medienhochschule und schließlich das Quartier des ORB. Auf der gegenüberliegenden Seite des Boulevards befindet sich ein Stadtpark, eingefaßt von Stadtvillen.“

Rund 2.300 Menschen sollen einmal auf dem Gelände wohnen, 10.000 Arbeitsplätze, davon 6.000 in Büros und 1.000 in Studiobetrieben geschaffen werden; ein Mini- Hollywood für Stars und Sternchen sowie das Hochhaus „Metropolis“ – ein Zitat des expressionistischen Turmhausentwurfs von Otto Kohtz – für den Film-Tycoon. Im Schwerpunkt der Medienstadt ruhen die legendären Filmhallen: die 1926 geschaffenen Nord-, Mittel- und Südhallen mit 5.000 Quadratmeter Gesamtfläche, das 1929 entworfene „Tonkreuz“ mit vier Ateliers (2.000 Quadratmeter Gesamtfläche) sowie die zwischen 1934 und 1938 geplanten Ateliers „Neue Ost“ und „Neue West“ mit 1.200 Quadratmetern Nutzfläche mit angrenzenden Büros und Werkstätten. Sie sollen ergänzt werden durch vier flexible TV-Module, mit jeweils 12.000 Quadratmetern Nutzfläche: das zukünftige Herzstück des „Europäischen Filmzentrums Babelsberg“.

Nach einer Phase der Modernisierung und Sanierung bestehender denkmalwerter Bauten 1995 soll mit der Erweiterung der Studios des ORB um 40.000 Quadratmeter begonnen werden. Danach ist geplant, das 80 Meter hohe Empfangsgebäude „Metropolis“ und das Business-Center mit rund 200.000 Quadratmetern Bürofläche, Kinos und Hotels zu errichten. In einem nächsten Bauabschnitt sollen die Gebäude der Filmhochschule Potsdam für 400 Studenten gebaut werden, an die sich ein städtisches Viertel mit Arbeitsstätten für Handwerker und Ateliers für Künstler anschließen sollen.

Schließlich sollen an den baumbestandenen Rändern des Areals Villen und kleinere Wohnhäuser geplant werden. Die Stadtvillen im westlichen Bereich des Geländes werden sechs bis acht Geschosse umfassen. Insgesamt sind auf 130.000 Quadratmetern 1.500 Wohneinheiten vorgesehen. Zusätzlich zum Haupteingang an der August-Bebel-Straße wird ein weiterer Zugang an der Großbeerenstraße geschaffen. Das innere Verkehrsnetz wird damit von zwei Hauptverkehrsachsen bestimmt, einer Nord-Süd-Achse, die die Zufahrt von der August-Bebel-Straße durch eine Schleife verbindet. Ein zweitrangiges Verkehrsnetz erschließt das Geschäfts- und Wohnviertel von diesen Hauptstraßen aus.

Die Abstraktion des Plans, seine Idealität und die Unwägbarkeiten in der Ökonomie der Zeit und des Geldes lassen Fragen in der Projektion dieses Stadtbildes unbeantwortet: Im föderativ entwickelten und amerikanisch dominierten Film-Konkurrenzkampf ist das Studio mit ein paar wenigen Aufträgen, Vermietungen und einer infantilen „Stuntmen-Show“ à la Mad Max („Wir befinden uns im Zeitalter totaler Gesetzlosigkeit“) hoffnungslos abgeschlagen. Die großen Bauvorhaben wirken da wie aufgeblasene, im Mythos verfangene Illusionen. Zugleich mangelt es an politischen Instrumentarien und wirtschaftlicher Entschlossenheit sowie medienspezifischen Alternativen zur Absicherung des Produktionsstandortes. Platzt der Traum vom Happy-End, ist eine Vermarktung des Geländes und seiner Büros an unspezifische Nutzer nicht ausgeschlossen, da der Treuhand-Vertrag dies nach zehn Jahren gestattet.

Die Vitalität der Ufa-Filmstadt war Mythos und Spiegel der Produktion und deren ökonomischer Entwicklung. Die Projektionen der Medienstadt erscheinen, gemessen am damaligen Filmbusiness und der rezessiven Lage heute, wie grelle Bilder eines Films, der seine eigene Geschichte zu schnell, zu hektisch erzählt. Die Phantasmagorien der Bauten stehen in keinem Verhältnis zur Realität einer desolaten deutschen und europäischen Filmindustrie, die auf der politischen Ebene keine Solidarität erfährt. So deuten die Bauvorhaben eher auf Fernseh- und Showspektakel mit der Neigung zu schlechtem Geschmack hin. Mit dem Mythos im Gepäck und dem Glauben an die Renaissance einer florierenden Film- und Medienindustrie wird das Projekt Filmstadt Babelsberg ebensowenig funktionieren wie die Hoffnung, daß spektakuläre Visionen schon Inhalte bringen werden. Illusionen einer Traumfabrik? Bestimmt. Metamorphosen brauchen Zeit, langsam zu werden.